Für ein zukunftsfähiges und solidarisches Brandenburg – Grundelemente eines Leitbildes für die künftige Entwicklung unseres Landes und unserer Region

RTEmagicC_000784_01.png Zusammenfassung der Debatte auf der Fraktionsklausur zum Entwurf des Leitbildes der Fraktion der Linkspartei.PDS

I.

Sechzehn Jahre nach Wieder-Gründung des Landes Brandenburg, sechzehn Jahre nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten ist eines klar und überfällig: Für die künftige Landesentwicklung, für die Entwicklung des Ostens überhaupt braucht es einen neuen Ansatz.
Vor diesem Hintergrund haben die Landesregierung und der Senat von Berlin ihrerseits in Leitbild vorgelegt. Dem stellen wir unser Leitbild für ein zukunftsfähiges und solidarisches Brandenburg entgegen.
Unser Leitbild lehnt das neoliberale Gesellschaftsbild ab und zielt auf eine solidarische Gesellschaft, in der soziale und politische Teilhabe für alle und überall gesichert wird. Der Resignation stellen wir Gestaltungsanspruch entgegen, dem Zentralismus die Selbständigkeit.
Unser Leitbild orientiert auf Handeln. Wir wollen die großen Herausforderungen angehen und nicht den Stillstand verwalten. Der Provinzialität des Regierungsentwurfes stellen wir die Internationalität eines selbstbewussten Landes entgegen, das im Bund und in Europa weit energischer als bisher seine Interessen wahrnimmt und das einen selbstbewussten Beitrag zu Frieden und Entwicklung leistet.
Der Senat von Berlin hat sich im Regierungsleitbild erkennbar für seine Stadt, für Weltoffenheit, kulturelle Vielfalt und soziale Verantwortung stark gemacht und seine Interessen zur Geltung gebracht. Aus der Sicht unseres Landes wurden der Ansatz von einem „Brandenburg der Regionen“ nicht hinreichend verankert. In die Wirkungen der Metropolenregion auf das gesamte Land werden überzogene Hoffnungen gesetzt. Brandenburg ist mehr als die Metropolen-Region. Und auch die Metropolenregion im engeren Sinne ist mehr als Berlin.
Das von der Landesregierung vorgelegte Leitbild ermöglicht jetzt die Auseinandersetzung um den notwendigen neuen Ansatz für Brandenburg – es stellt ihn weder abschließend noch vollständig dar. Hier setzt die Linkspartei.PDS mit ihrer Arbeit an einem Leitbild für Brandenburg an.

II.

All die täglichen politischen Entscheidungen, sei es über den öffentlichen Nahverkehr, über Fördermittel oder die Schließung einer Schule, werden vom generellen Verständnis über die Werte unserer Gemeinschaft, über das Verhältnis von Bürger und Staat, über die Rolle der Wirtschaft und Kultur für unser Gemeinwesen und über unseren Platz in einer sich ständig wandelnden Welt geprägt. Eine demokratische Gesellschaft braucht den öffentlichen Streit über diese Werte und Ziele. In diese Debatte über die Zukunft unseres Landes wollen wir mit diesem Leitbild eingreifen.

  • Dieses Leitbild soll eine zukunftsfähige und sozial gerechte Antwort auf den radikalen Wandel unserer Lebensverhältnisse geben. Es soll neue Wege weisen, wie die Herausforderungen durch rapide technologische Innovation, wirtschaftlichen Umbruch, sozialen Wandel und demographische Veränderung genutzt werden können, um Lebensqualität und Lebenschancen für alle Menschen zu sichern und zu verbessern.
  • Dieses Leitbild formuliert die Anforderungen an eine verantwortungsvolle Politik, die die Zukunftsfähigkeit unseres Gemeinwesens sichert, die existentiellen Risiken für die Menschen eindämmt und die Lasten ebenso wie die Früchte des Wandels gerecht verteilt.
  • Dieses Leitbild zeigt auf, wie sich Brandenburg zusammen mit Berlin als dynamische europäische Region in einer zunehmend globalisierten Welt behaupten und für friedliche Konfliktbeilegung, soziale Gerechtigkeit sowie ökologische Nachhaltigkeit einsetzen kann.
  • Unser Leitbild macht keinen Bogen um die Bundeshauptstadt, sondern denkt Berlin immer mit. Natürlich aus Brandenburger Sicht. Vieles spricht dafür, dass beide Länder auch die Herausforderungen der Zukunft nur gemeinsam bewältigen können. Wir befürworten ein Zusammenwachsen auf gleicher Augenhöhe. Wir sehen uns nicht als zentralisierte Metropolenregion mit Berlin in der Mitte und etwas Brandenburg rund herum.
  • Unser Leitbild orientiert auf ein vielgestaltiges Land gleichberechtigter Regionen, in dem Berlin mit seinen Stärken und Schwächen, Potenzialen und Interessen seinen – sicherlich prominenten – Platz findet.


III. Leitmotive Brandenburger Politik

1. Gleichwertige Lebensverhältnisse in vielfältigen Regionen

Kaum ein anderes Bundesland weist so große regionale Unterschiede auf wie Brandenburg. Für das künftige Brandenburg ist die regionale Vielfalt Herausforderung und Chance zugleich. Der räumlichen Vielfalt an Lebensbedingungen steht eine mindestens ebenso große Vielfalt an individuellen und gemeinschaftlichen Leitbildern und Lebensformen, Bedürfnissen und Interessen, Idealen und Bindungen gegenüber.
Gleichwertige Lebensverhältnisse bleiben das übergeordnete Ziel der Landesentwicklung. Ein landesweites Netz von starken Zentren, die ihren Regionen als wirtschaftliche Lokomotiven, öffentliche Dienstleister, kulturelle Mittelpunkte und soziale Versorger dienen, ist für Brandenburg unverzichtbar. Regionale Vielfalt erfordert innovative Ansätze. Angesichts knapper finanzielle Ressourcen, großer regionaler Unterschiede und vielfältigerer Problemlagen werden Brandenburgerinnen und Brandenburger künftig noch konsequenter entscheiden müssen, worin der Grundkanon öffentlicher Leistungen besteht, der eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse überall im Land herstellt. Dabei sollte sorgfältig geklärt werden, welche Politikfelder den größeren räumlichen Zuschnitt brauchen und wie die demokratische Qualität des Entscheidungsprozesses auf regionaler Ebene gesichert werden kann.

2. Demokratische Teilhabe – Schlüssel für ein zukunftsfähiges Gemeinwesen

Das künftige Brandenburg lebt von der selbstbewussten, kompetenten und eigenverantwortlichen Teilnahme der Bürger an den politischen Prozessen. Dazu bedarf es einer Bürgergesellschaft, die lokal, regional und landesweit verankert ist. Die Bürgergesellschaft ist ein Ort der Solidarität und Gleichheit.
Demokratie als Grundprinzip gesellschaftlicher Willensbildung findet im Parlament wie außerhalb des Parlaments statt. Nach den bisherigen Erfahrungen in Brandenburg sollte das Parlament gegenüber der Exekutive gestärkt werden. Die Möglichkeiten zur direkten Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger bei der Willensbildung zu landespolitischen Fragen sollten ausgebaut werden. Ebenso gilt es, die Kompetenzen für die lokale Selbsterwaltung zu stärken. Dringend notwendig ist eine Ausweitung der demokratischen Teilhabe auf der europäischen Ebene. Brandenburg sollte sich im ureigensten Interesse der herrschenden neoliberalen Marktlogik in der Europäischen Union entgegenstellen und sich für eine gerechte Sozialordnung in Europa einsetzen. Ohne eine gerechte europäische Sozialordnung wird die politische Union nicht zu vollenden sein.

3. Arbeit für ein Leben in Würde

Arbeit hat oberste Priorität – Arbeit zu menschenwürdigen Bedingungen. Die minimale Anforderung ist ein Erwerbseinkommen, das ein menschenwürdiges Leben oberhalb der Armutsgrenze ermöglicht. Aus diesem Grund brauchen wir gerade in Brandenburg Mindestlöhne, die dieser Anforderung genügen. Ebenso wichtig ist, dass Arbeitsverhältnisse, welche die Würde und Privatsphäre der Beschäftigten zutiefst verletzen, in unserem Land juristisch und gesellschaftlich geächtet werden. Die Politik sollte einvernehmliche Regelungen für mehr Flexibilität unterstützen, wenn sie nicht auf Kosten von Arbeitnehmerinteressen und Mitbestimmungsrechten gehen.
Je mehr Teilhabe an Gestaltung und Gewinn im Wirtschaftsleben durchgesetzt werden kann, je weniger Menschen aus dem Erwerbsleben ausgestoßen werden, desto weniger werden die sozialen Sicherungssysteme und die Umverteilungskapazitäten unseres Gemeinwesens belastet. Das kann die Politik nur durchsetzen, wenn zugleich ein Wandel der gesellschaftlichen Leitbilder zur Arbeitswelt eintritt. Das kann uns nur gemeinsam mit starken Gewerkschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren gelingen.
Angesichts des Schwunds der klassischen privatwirtschaftlicher Erwerbsarbeit wird die allgemeine Teilhabe am Wirtschaftsleben eine immer wichtiger werdende öffentliche Aufgabe. Das bedeutet nicht noch mehr staatliche Verwaltung, sondern mehr selbstbestimmte soziale Organisation. Politik muss und kann Angebote für sinnstiftende und existenzsichernde Tätigkeiten eröffnen, die auf dem Markt nicht gehandelt werden, aber für die Sicherung unserer gesellschaftlichen Zukunft unerlässlich sind.
„Hartz IV“ liegt nicht im Zentrum, sondern am Ende einer verfehlten Arbeitsmarktpolitik.
Allen Erwerbslosen soll ohne Einschränkungen ein Einkommen zur Verfügung stehen, das eine menschenwürdige Existenz erlaubt. Der Teufelskreis von Arbeitslosigkeit, Fortbildung, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und zurück in die Arbeitslosigkeit muss durchbrochen werden.

4. Die ökologische Herausforderung als Chance

Durch Passivität und bürokratische Hürden ist die gegenwärtige Regierung dabei, das ökologische Image des Landes zu verspielen. Dabei bietet die ökologische Herausforderung vielfältige Entwicklungschancen für alle Regionen in Brandenburg.
In Brandenburg wirkt ökologisches Handeln, wie die „Wieder-in-Wert-Setzung“ der erschöpften Lausitzer Braunkohlereviere zeigt, in direkter Weise als Triebfeder wirtschaftlicher Entwicklung. Für den ländlichen nordostdeutschen Raum mit seiner hochproduktiven und in beträchtlichen Größenordnungen lieferfähigen Landwirtschaft bietet die Umstellung der Energie- und Rohstoffbasis große Entwicklungschancen. Bei der Produktion von Biokraftstoffen gehört Brandenburg zu den führenden Herstellern in Europa. Die attraktiven Landschaften von Brandenburg bieten ein großes Potenzial für naturverträglichen Tourismus, der ebenfalls vielfältige neue Erwerbsmöglichkeiten eröffnet. Wir wollen Ökologie als Wirtschaftsfaktor aktivieren.

5. Den demographischen Wandel bewältigen

Durch denn Stadtumbau soll Stadtstruktur in Einklang mit quantitativ sinkendem Bedarf, aber qualitativ steigenden und vielfältiger werdenden Anforderungen durch Bewohner und Nutzer gebracht werden. Die Unterstützung dieses Strukturwandels ist auch Landesaufgabe. Wichtig ist, dass die Städte ihren Umbau selbst gestalten können und nicht zu Objekten zentralisierter Förderentscheidungen werden.
Dramatisch wird die Situation in den großen ländlich geprägten und immer dünner besiedelten Regionen. Ein Ausweg ist die räumliche Bündelung von sozialer Infrastruktur, Versorgung und Dienstleistungen an gleichmäßig verteilten zentralen Orten. Voraussetzung dafür ist ein öffentliches Verkehrssystem, dass allen Nutzern den Zugang zu den zentralisierten Leistungen in einem vertretbaren Zeitaufwand ermöglicht. Für die Landesentwicklungsplanung bedeutet dies, zentrale Orte vorrangig zu stärken.

Andererseits geht es darum, die notwendigen Leistungen unterschiedlichster Art auf neue Art – z.B. mobil oder digital – an die Bürgerinnen und Bürger zu bringen.
Ein Handlungsschwerpunkt ist der Ausbau eines Netzes von Pflege- und Betreuungseinrichtungen für Ältere. Wohnungs- und Städtebau müssen stärker auf die Lebensumstände von Senioren ausgerichtet werden.
Unsere Gesellschaft muss kinderfreundlicher werden. Dazu gehört der Erhalt der guten Kinderbetreuung in diesem Land. Dazu gehört eine deutlich verbesserte Schulbildung, die Chancengleichheit unabhängig von der sozialen Herkunft schafft. Entscheidend ist, dass Familie und Erwerbsarbeit wieder zusammen kommen und vereinbar werden.
Stabile öffentliche Haushalte und Geldwertstabilität sind für die PDS wichtige politische Zielgruppen – genauso wie der Anspruch, dass sich das Land auch bei dramatischer Haushaltslage nicht aus seiner sozialen Verantwortung stehlen darf. Künftig müssen also im Lande die Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage und der Erhalt der sozialen und natürlichen Lebensbedingungen sowie die Konsolidierung des Haushaltes Hand in Hand gehen. Eine Wende im Umgang des Landes mit den öffentlichen Finanzen ist unausweichlich: weg von der Verschwendung, weg vom sozial und ökologisch blinden Regiment des Rotstifts. Sie wird weg führen von der Spirale des Sparens und des Nochmehr- Sparens und hin zu einem wesentlich effizienteren, verantwortungsbewussteren und zielgerichteteren Mitteleinsatz. Wenn künftig Steuergelder ausgegeben werden, soll dies auch auf einem neuen Investitionsverständnis beruhen, das der notwendigen Einheit von wirtschaftlicher, sozialer und ökologisch nachhaltiger Entwicklung Rechnung trägt.