Gründlichkeit vor Schnelligkeit – Veränderung der Hochschullandschaft in der Lausitz

Rede des hochschulpolitischen Sprechers der Landtagsfraktion, Peer Jürgens, vom 23. Februar 2012 im Brandenburger Landtag zur Gründung einer Lausitzuniversität

Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Lassen Sie mich mit einer eher unpolitischen Erfahrung beginnen. Ich wandere sehr gern durch die Berge, mehrere Tage am Stück, mit Zelt und Kocher, so richtig outdoormäßig. Wenn man abends beim Zeltaufbauen in einen heftigen Regen kommt, ist die Verlockung oft groß, das Zelt sehr schnell aufzubauen, damit man irgendwie ins Trockene kommt. Dabei wird die Gründlichkeit des Aufbaus häufig vernachlässigt. Wer aber über Nacht trocken und ruhigen Gewissens schlafen will, der sollte lieber beim Aufbau etwas mehr Nässe in Kauf nehmen und sich Zeit lassen. Das ist nachhaltiger.

(Heiterkeit CDU)

Wenn wir in den nächsten Monaten eine Entscheidung über die Zukunft der Hochschullandschaft der Lausitz treffen, dann ist das eine Entscheidung für einen langen Zeitraum. Umso wichtiger ist es, dass diese Entscheidung im genannten Sinne nachhaltig ist. Gründlichkeit geht für die LINKE vor Schnelligkeit.

Im Ziel sind wir uns sicherlich alle einig: Wir wollen einen Innovationsschub für den Wissenschaftsstandort. Wir wollen eine langfristige Sicherung der Hochschulstandorte Senftenberg und Cottbus. Wir wollen die Wissenschaft in der Region angesichts neuer Herausforderungen und veränderter Bedingungen stärken. Aus all diesen Gründen war es völlig richtig, dass die ehemalige Wissenschaftsministerin Frau Dr. Münch die Lausitz-Kommission eingesetzt hat. Sich für die notwendigen Änderungen fachkundigen Beistand zu holen war genau der Weg, den sich Frau Wanka offenbar nicht zu gehen getraut hat. Aber diesen Mut muss man haben, wenn es um die Zukunft unserer Wissenschaftslandschaft geht.

Der Handlungsbedarf ist hierbei durchaus enorm. Vor uns steht die demografische Entwicklung mit den Auswirkungen auf die Studiennachfrage einerseits und den Anforderungen an den Fachkräftebedarf andererseits. Bezogen auf die Lausitz steht die Profilierung der Hochschulen in der Region gegenüber Berlin und Dresden vor uns, und vor uns stehen außerdem immer noch die Auswirkungen der Bologna-Reform.

Gerade die Diskussion um den letzten Punkt bietet sich in der Lausitz an. Jahrzehntelang gab es in Deutschland zwei Hochschultypen: die Universitäten und Fachhochschulen. Diese beiden Typen hatten unterschiedliche Aufgaben, Strukturen und Herangehensweisen an die akademische Ausbildung. Wir müssen aber in den letzten Jahren feststellen, dass sich diese Unterschiede immer stärker minimieren. Die Fachhochschulen in Brandenburg zählen zu den forschungsstärksten in ganz Deutschland, obwohl das eigentlich nicht ihre Aufgabe ist. Durch Bachelor und Master sind die Übergänge zwischen Hochschultypen fließender geworden. Sogar Promotionen sind aus der Fachhochschule heraus heute möglich, und mit der Schaffung von Forschungs- und Lehrprofessoren gleichen sich auch die personellen Unterschiede etwas an.

Vor diesem Hintergrund ist es also in der Tat überlegenswert, wie man unter dem Vorzeichen von Bologna mit zwei regional eng beieinanderliegenden Hochschulen unterschiedlichen Typs umgeht. Der Wissenschaftsrat schlägt in seinen Empfehlungen zur Rolle der Fachhochschulen im Hochschulsystem vom Juli 2010 zum Beispiel Kooperationsplattformen und gemeinsame Graduiertenschulen zwischen Universitäten und Fachhochschulen vor und ruft zu mehr Kooperation bei Studium und Lehre zwischen den Hochschultypen auf. Die Debatte um die Hochschulregion Lausitz ist also durchaus auch eine sehr aktuelle wissenschaftspolitische Debatte. Daher ist meine Fraktion für den Bericht der Lausitz-Kommission dankbar. Mein Dank geht an Herrn Emmermann und die Kollegen, die diesen Bericht erarbeitet haben. Er zeigt nicht nur die Stärken und Schwächen der beiden Hochschulen, sondern auch Lösungsansätze. Der Bericht ist ein wertvolles Material, dessen Einschätzung man sicher an der einen oder anderen Stelle diskutieren kann, der jedoch insgesamt sehr solide ist.

Ich möchte ganz bewusst Stärken beider Hochschulen benennen, da in den Medien die Formel verbreitet wurde: „BTU Flop, FH Lausitz Top“, die in dieser Form sicher zu undifferenziert ist.

(Frau Lehmann : Genau!)

Mit den Bereichen Bauingenieurwesen und Architektur hat die BTU ein bundesweites Alleinstellungsmerkmal. Die historische Bauforschung ist ein Leuchtturm der Universität, und auch die Bereiche Kraftwerks- und Werkstofftechnik sind herausragende Lehrstühle. An der FH Lausitz ist die regionale Einbindung sehr lobenswert, die Biotechnologie ist sogar auf Universitätsniveau.

Die Kommission unter Herrn Emmermann kommt zu dem Schluss, dass die Zusammenarbeit der beiden Hochschulen deutlich verbessert werden muss. BTU und FH Lausitz sollen ihre Profile wahren und stärken, Doppelungen bei den Studiengängen sollen künftig vermieden, Forschungspotenziale gebündelt und Synergieeffekte besser genutzt werden. Dass es dafür der Aufforderung durch eine Kommission bedarf, ist zugegebenermaßen etwas ärgerlich. Diese Kritik müssen sich die beiden Einrichtungen gefallen lassen. Aber wenn die Kommission vorschlägt, beide Hochschulen zu erhalten und nur in einigen Bereichen gemeinsame Institutionen zu schaffen, dann hat das einen Grund. Herr Emmermann hat im Wissenschaftsausschuss auch dargelegt, dass die Widerstände und Probleme bei einer Fusion ungleich höher sind. Warum Ministerin Dr. Kunst dennoch die einsame Entscheidung getroffen hat, beide Hochschulen aufzulösen und eine neue Universität gründen zu wollen, leuchtet noch nicht richtig ein.

Die LINKE hat angesichts dieser Situation vor allem zwei Fragen: Ist eine gemeinsame Universität der geeignete Weg, und kann das avisierte Ziel in dieser Zeit erreicht werden? Ich will klar sagen: Beide Fragen können wir mit dem gegenwärtigen Informationsstand nicht klar beantworten. Zur ersten Frage drängen sich viele Probleme auf. Wie wird die künftige Struktur FH- und Uni-typische Eigenheiten aufnehmen? Wie soll die Ausbildung von hochschultypischen Studiengängen beim Übergang und in Zukunft gesichert werden? Wie wird sich künftig der Zugang zu der einen Universität gestalten? Eine Menge Fragen ranken sich um den Bereich Personal – von der Übernahmegarantie aller Beschäftigten über die Bewertung unterschiedlicher Professorentypen und deren Eigenschaften bis hin zum unterschiedlichen Ausstattungsgrad an wissenschaftlichen Mitarbeitern.

Unklar ist uns, warum eine Universität in der Lausitz den Schwerpunkt Energie erhalten soll, wenn auch andere Bereiche ausgebaut und weitergeführt werden sollen. Unbeantwortet ist die Frage, warum man auf eine international eingeführte Bezeichnung verzichten will. Ebenso offen sind die finanziellen Auswirkungen in kurz-, mittel- und langfristiger Perspektive. Eine Fusion darf, wenn es eine solche gibt, nicht zu einem Sparmodell werden.

Angesichts all dieser offenen Fragen ist aus der Sicht der LINKEN eine gründliche Debatte und keine überhastete Planung notwendig. Das gilt nicht nur für die politische Diskussion im Landtag, sondern umso mehr für den Dialog vor Ort. Es beantwortet zunächst die zweite grundsätzliche Frage meiner Fraktion, die Frage nach dem Zeitplan. Wenn der Prozess

ordentlich geführt werden soll, ist der Zeitplan aus unserer Sicht schwer haltbar. Zu Beginn dieses Prozesses gab es aus unserer Sicht ernste Versäumnisse in Bezug auf die Beteiligung der Betroffenen.

Die Angehörigen der Hochschulen, die Vertreter der Regionen müssen künftig intensiver eingebunden, informiert und befragt werden. Das Experiment kann nur gelingen, wenn es im gemeinsamen Dialog entsteht. Mit dem Überstülpen einer neuen Struktur werden die alten Probleme kaum gelöst. Wir halten intensive Debatten in den nächsten Wochen mit denjenigen für nötig, die die Wissenschaftslandschaft Lausitz künftig ausfüllen und engagiert gestalten sollen.

In Abwägung dieser Gespräche und in der Beantwortung unserer Fragen liegt erst dann die Entscheidung für den künftigen Weg in der Hochschullandschaft Lausitz. Die LINKE ist mit Freude bei neuen innovativen Ideen bei unserer Hochschullandschaft, für unsere Wissenschaftsregion dabei – wenn sie sich denn als solche herausstellen. Das gilt es in der nächsten Zeit gründlich zu prüfen.

Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und SPD)