Karl Stenzel: „Ich habe dem Nazi einen Vogel gezeigt.“
Unser Genosse Karl Stenzel, Antifaschist und Sachsenhausen-Überlebender, ist im Alter von 97 Jahren am 20. November 2012 verstorben. „Durch die Lebensumstände“, wie Stenzel sagte, wurde er 1931 Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes. „Die Lebensumstände“, das war die Massenarbeitslosigkeit unter den Arbeitern in Leipzig-Ost, wo der gelernte Schlosser damals lebte.
Im April 1933 verlangten lokale HJ-Führer, dass er am 1. Mai den „Tag der nationalen Arbeit“ mit ihnen verbringen sollte. Er lehnte ab und zeigte dem Hitlerjungen einen Vogel. Wenige Tage später befand er sich in der Gefangenschaft der SA, die ihn folterte und schließlich im KZ Sachsenburg inhaftierte. Dort musste er schwere Zwangsarbeit im Steinbruch leisten; später kam er ins Zuchthaus in das Emsland. 1941 wurde er im KZ Sachsenhausen inhaftiert. 1945 befreiten er und seine Kameraden sich in einem Außenlager in Falkensee selbst. Von 12 Jahren Faschismus hatte er 11 hinter Gittern und in Konzentrationslagern verbracht – aber immer im Widerstand, in illegalen Lagerleitungen und mit Sabotage bei der Zwangsarbeit.
In drei Lebensabschnitte sah Stenzel sein Leben aufgeteilt: den antifaschistischen Widerstand, den Wiederaufbau eines neuen Deutschlands nach 1945 und schließlich seine Rentnerjahre.
Nach 1990, inzwischen Rentner, musste er erleben, wie wieder Nazis in den Straßen marschierten. Stenzel erlebte einen ungeplant neuen, vierten Lebensabschnitt: Wieder auf der Straße, wieder im Widerstand gegen neue Nazis. Bis zuletzt war er im Lagerkomitee Sachsenhausen aktiv, war in Schulen, begleitete Gedenkstättenfahrten, gab Interviews und suchte das Gespräch mit jungen Antifaschisten. Stenzel hat durch sein großes Engagement gegen das Vergessen dafür gesorgt, dass wir ihn nicht vergessen werden. Aber einer fehlt nun bei der nächsten Demo gegen Nazis.
Norbert Müller