Paradoxien linker Positionen zur Krim-Krise
Einführung
Die Hauptgründe für die Krim-Krise sind das Scheitern des postsowjetischen Entwicklungsmodells am Exempel der Ukraine, aber auch neo-imperialistische Machtpolitik Russlands als Kompensation für dessen postsowjetisch-postimperiale Depression. Dennoch führt gerade die Krim-Krise zu wahrhaft paradoxen linken Positionen, welche die Widersprüchlichkeit der eigenen außenpolitischen Vorstellungen offenlegen, diesmal exemplifiziert an der komplexen Situation der Ukraine bzw. der Krim. Davon handelt dieser Text.
Der Autor des Textes ist seit vielen Jahren gemeinsam mit einem Deutsch-Ukrainer selbständig und befreundet, hat dadurch das Land und die ukrainische Kultur kennengelernt und ist daher nicht nur betroffen von dieser schwierigen, ja aporetischen Situation. Sondern er ist auch verwundert über die Antworten von Teilen der politischen Linken, welche im Kontrast zu sonstigen Prinzipien der politischen Linken stehen und daher als paradox einzustufen sind.
Legitimität der Maidan-Proteste
Zunächst sind die Proteste auf dem Maidan bzw. die Euro-Bewegung zu betrachten. Natürlich sind hier heterogene politische Kräfte am Werk gewesen, und nicht alle dieser Kräfte sind kompatibel mit linken Prinzipien, insbesondere die Swoboda-Partei. Der größere Teil des Protestes speiste sich jedoch aus zwei Antrieben: Nämlich erstens einer prodemokratischen und proeuropäischen Prägung und zweitens einer klaren Sozialkritik bzw. Anti-Korruptions-Kritik an der herrschenden Oligarchie, welche in der Ukraine leider eine besondere Qualität, teils sogar mafia-artige Strukturen aufweist. Beide Motive, der Kampf um Demokratisierung wie der Kampf gegen eine weitere Oligarchisierung, sind hervorragend kompatibel mit linken Prinzipien. Und eines sollte an dieser Stelle immer wieder festgehalten werden: Bei allen Fehlern der Europäischen Union ist ein demokratisches, europäisches Modell besser für die Ukraine, vor allem aber auch für das ukrainische Volk, als eine Autokratie bisheriger ukrainischer oder gar russischer Prägung. Ebenso waren die ukrainischen Oligarchen besonders schamlos, was sich in unfassbarer sozialer Ungleichheit, aber aber auch für europäische Verhältnisse extremer Armut der Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung zeigt. Hauptgründe hierfür sind die grassierende Korruption, aber auch die Ineffizienz und die teils überbordende Bürokratie als ein sowjetisches Erbe. All diese Faktoren sind zu negieren, was die Grundidee der Proteste auf dem Maidan, gerade aus linker Sicht, legitim macht. Eine Verkürzung der Proteste auf ukrainische Nationalisten, welche empirisch zudem eine Minorität darstellten, ist verkürzt und unterkomplex.
Illegitimität des Putinismus
Die implizite Prämisse des Putinismus ist, dass der GUS-Bereich ein russischer Einflussbereich ist, in dem verschiedene Formen der Intervention als legitim zu betrachten sind. Putin selbst erklärte einst, dass der Kollaps der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts gewesen sei. In diesem Sinne besteht seine Politik auch auf Restauration des russischen Einflusses. Der Georgien-Krieg 2008 mit der Eingliederung von Abchasien (wenngleich hier natürlich auch das Hasardeurspiel des georgischen Ex-Präsidenten Saakaschwili stark zu kritisieren ist), ebenso der Versuch der Etablierung einer Eurasischen Union, aber auch frühere Ränkespiele um den politisch motivierten Gaspreis für die Ukraine stehen dafür.
Moskau musste einen Abstieg im geopolitischen Konzert erleben, welcher auch durch das Verhalten im Syrien-Konflikt und jetzt eben durch das Schaffen von Fakten auf der Krim kompensiert werden soll. Jedoch: In Madrid, Wien (Habsburgerreich) und Berlin gibt es Erfahrungen mit dem Verlust von Imperien. Wenn diese Staaten versucht hätten, diesen Verlust erneut zu kompensieren (wie Deutschland es ja tragischerweise real tat), wäre ein großes Maß an Instabilität und Leid die Konsequenz gewesen. Die Frage ist hier also: Warum sollte es sich mit Moskau anders verhalten? Das Problem hierbei ist, dass ein oft kulturalistisch begründeter russischer Exzeptionalismus („russisches Wesen“) häufig als Legitimation für eine Herrschaft gilt, welche aus linker Sicht stark kritikwürdig ist (Stichworte: Offene Diskriminierung von Schwulen, Abbau von Grund- und Freiheitsrechten, steigende soziale Ungleichheit).
Das Narrativ des Putinismus ist, dass die NATO und der Westen zu nah an Russland gekommen sind, nun erneut ein befreundetes Regime gestürzt wurde und daher interveniert werden müsse. Aber weder das Völkerrecht noch die Moral sehen eine Legitimation dafür vor, in gefühlten bzw. historisch gewesenen Einflusssphären militärisch zu intervenieren. In genau diesem Sinne ist das politische wie ideologische wie militärische Vorgehen des Putinismus illegitim und damit eine Solidarisierung hiermit paradox.
Wessen Nationalismus, wessen Faschismus?
Die Begründungsebene der russischen Militärintervention auf der Krim ist jedoch selbst stark widersprüchlich. Mit der Begründung, dass nationalistische bzw. faschistische Kräfte in der Ukraine an der Macht seien (was auch partiell stimmt, aber eben nicht generalisierbar ist), wird der Einsatz begründet, ebenso mit dem Schutz ethnischer Russinnen und Russen.
Natürlich war die Abschaffung des Russischen als Zweitsprache durch die Interimsregierung ein Affront, aber keine Gefährdung. Zudem war die Gefahrensituation wesentlich konstruiert. Viel paradoxer ist jedoch das russische Verhalten. Denn gerade dieses ist als besonderer Nationalismus zu klassifizieren. Denn mit der Existenz, vor allem der starken numerischen Präsenz ethnischer Russinnen und Russen, aber auch russischer Staatsbürger*innen wird der Einsatz von, nebenbei bemerkt, teils nicht klar gekennzeichneten, Soldaten begründet. Das aber impliziert, dass der eigenen Ethnie ein höherer Stellenwert eingeräumt wird und hierfür sogar eine Verletzung der territorialen Integrität eines anderen Staates in Kauf genommen wird. Diese Politik selbst ist absolut nationalistisch, und die militärische Annexion von Gebieten mit eigener Ethnizität war zumindest historisch eine praktische Politik des Faschismus, wie sich im Kontext des deutschen Reiches an den Sudetendeutschen 1939 zeigt. Zudem ist die Wahlbeobachtung durch Europäische Nationalist*innen für eine Operation, welche der Abwehr des Nationalismus dienen soll, absolut paradox. Wenn angeblich rechte Kräfte Kiew regieren, warum sollten dann rechte europäische Kräfte das Krim-Referendum beobachten? Hieran zeigt sich prinzipiell: Die russische Reaktion auf den (realen und vermeintlichen) ukrainischen Nationalismus ist ein Übermaß an Nationalismus, welcher das russische Vorgehen ideologisch schlicht unglaubwürdig macht.
Das heißt natürlich nicht, dass eine Renaissance der nationalistischen Bandera-Bewegung begrüßenswert ist. Der ukrainische Nationalismus, auch wenn er sich aus der Angst vor Russland speist, ist ebenso zu kritisieren wie der russische. Jedoch sind die Nationalismen auch am Ausmaß ihrer Konsequenzen zu messen und hier erweist sich derzeit der russische Nationalismus als der verurteilenswertere.
Selektive Imperialismuskritik
In Teilen der radikalen Linken ist Imperialismuskritik, insbesondere im Kontext deutscher und amerikanischer Auslandseinsätze bzw. Militärinterventionen der NATO (insbesondere jener, welche als „Coalition of the Willing“ eingegangen werden), ein wichtiger Bezugspunkt der Politik. Und selbstverständlich ist das Prinzip der Ausdehnung des eigenen Macht- und Herrschaftsbereichs, welches dem Imperialismus immanent ist, aus linker Sicht absolut kritikwürdig. Und natürlich waren und sind viele Interventionen des Westens wesentlich ökonomisch statt humanitär motiviert und damit zu kritisieren. Wesentlich wird für Deutschland, insbesondere vor dem Kontext der deutschen Historie, eine Enthaltung von jedweden Auslandseinsätzen gefordert.
Das russische Vorgehen ist jedoch erstens ganz klar als Auslandseinsatz einzuordnen. Denn es geht eben nicht nur um die Sicherung der eigenen Militärbasis (wobei aus imperialismuskritischer Sicht auch Militärbasen per se zu kritisieren sind), sondern um die Sicherung des geopolitischen Einflusses auf der gesamten Krim. Die Eroberung fremden Territoriums (und es ist ja derzeit auch noch nicht klar, ob es noch weitere Militärinterventionen geben wird) ist ganz klar als eine imperialistische Politik zu charakterisieren. Und dann stellt sich die Frage: Warum ist russischer Imperialismus in Ordnung, während der anderer Nationen aufs Schärfste verurteilt wird?
Der innenpolitische Druck: Deutschland und Russland, bzw. Deutschland vs. Russland?
In Deutschland gibt es mittlerweile ein ungewöhnliches, großkoalitionäres Triumvirat, bestehend aus dem Bundespräsidenten Joachim Gauck, dem Außenminister Frank-Walter Steinmeier und der neuen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, welche eine stärkere Rolle und einen stärkeren Einsatz Deutschlands in der Welt wünscht. Mithin geht es ihnen auch um eine Renaissance der nationalen Interessen als Kompass der deutschen Außenpolitik. Damit einhergehend ist der eher unverhohlene Wunsch, auch stärker militärisch zu intervenieren. Dieses fand zurecht die Kritik der deutschen Linken. Denn nicht selten geht es hier primär (wenngleich nicht ausschließlich) um die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen.
In Russland hat Putin, aber auch seine Partei „Einiges Russland“, das Bild des starken Mannes bzw. der Großmacht generiert. Die Krim-Intervention ist nun ein starkes Mittel, um dieses Bild zu bedienen, und auch die logische Konsequenz, wenn es um Glaubwürdigkeit als Großmacht geht. Das heißt, es ist gerade der innenpolitische Druck, welcher zur außenpolitischen Aktion führt. Und die steigenden Umfragewerte für Putin zeigen ja auch, dass diese Strategie bisher aufgeht. Ebenso erweist sich die Kommunistische Partei Russlands, höchstwahrscheinlich aus einem sowjetnostalgischen Impetus heraus, als Putins fünfte Kolonne, wenn es um eine restaurative Außenpolitik gilt. Denselben Fehler sollte die deutsche Linke nicht machen.
Die Frage ist nun: Warum gilt in Teilen der politischen Linken der Diskurs, welcher eine stärkere Besinnung auf nationale Interessen als erklärtes Ziel hat (und entsprechend äußerte sich Putin auch in seiner Triumphrede vom 18. März 2014), als legitim, während dieser in Deutschland als Militarisierung und Neo-Imperialismus gegeißelt wird?
Hat Russland nicht andere Sorgen als die Krim?
Es ist eine altbekannte Strategie in der Politik, durch außenpolitische Aktivitäten und Erfolge von innenpolitischen Problemen abzulenken. Putin, und mit ihm die russischen Eliten, beherrschen dieses Spiel derzeit leider perfekt. Die Frage ist jedoch, neben der Intervention der Krim, ob es nicht andere Punkte in Russland gibt, welche gerade aus linker Perspektive kritikwürdig sind und daher politisch prioritär sein sollten.
Hier wäre zunächst die soziale Frage. Natürlich waren die Zeiten des ungezügelten Anarcho-Kapitalismus nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den 90ern Zeiten besonderer Polarisierung und eines nicht unerheblichen Ausverkaufs des volkswirtschaftlichen Reichtums. Dies hat Putin, gerade in seiner ersten Legislatur, gebremst, was durchaus als positiv anzusehen ist. Danach begann jedoch ein Prozess, welcher als differente Oligarchisierung bezeichnet werden kann. Gerade die alten Geheimdienst-Seilschaften sowie alle, die sich Kreml-nah, vor allem aber Kreml-konform verhalten haben, haben materiell in besonderer Weise vom Rohstoffreichtum Russlands profitiert. Die soziale Ungleichheit ist jedoch eher angestiegen. Und auch die Mittelschicht ist nach wie vor, anders als in Kontinentaleuropa, eine gesellschaftliche Minderheit. Gerade auf dem Land und in der russischen Peripherie herrscht nach wie vor oft bittere Armut. Durch die Olympischen Winterspiele von Sotschi 2014, welche insgesamt 40 Milliarden Euro verschlangen und ein enormes Elitenprojekt waren, aber auch die grassierende Korruption, wird das Problem der Armut und sozialen Ungleichheit immer größer. Und auch für Russland gilt: Geld, welches in den Militärhaushalt gesteckt wird, fehlt an anderer Stelle. Daher ist eine starke Sozialkritik am System des Putinismus zu üben.
Aber auch wirtschaftlich hat Russland nach wie vor enorme Probleme. Die Modernisierung der Wirtschaft scheitert zu oft an Korruption und Ineffizienz. Die einseitige Orientierung an den Ressourcen führt zu enormer Labilität, was sich insbesondere dann zeigt, wenn die Erdöl- und Gaspreise signifikant sinken. Zudem ist die Produktivität der russischen Unternehmen, wie auch der Volkswirtschaft als Ganzes, deutlich unter ihren Möglichkeiten.
Ganz wesentlich aber zeigt sich ja auch an den vielen Problemen im Kaukasus, dem latenten Konfliktherd Tschetschenien sowie auf der anderen Seite der inneren Aufrüstung auch die Zerrissenheit Russlands. Das oft gewaltsam verhinderte Recht auf politische Demonstrationen, die Inhaftierung von Oppositionellen, aber auch die Willkürjustiz sind deutliche Probleme, welche das Land zu lösen hat, statt außenpolitisch die Muskeln spielen zu lassen.
Epilog: Was tun? Und was nicht?
Die politische Linke in Deutschland kämpft für den Frieden. Der militärische Konflikt ist von Russland begonnen worden. Folglich muss Russland auch der Adressat der Kritik sein. Das Völkerrecht wird immer wieder von links als positiv dargestellt und gewürdigt. Folglich muss ein evidenter Verstoß gegen das Völkerrecht, wie er auf der Krim geschehen ist, auch entsprechend verurteilt werden.
In Bezug auf die Ukraine ist eine differenzierte Herangehensweise vonnöten. Die prodemokratischen Kräfte müssen gestärkt werden, der Austausch mit Europa ebenso. Ein Assoziierungsabkommen mit der EU ist sinnvoll. Eine neue Troika, welche die staatliche Souveränität wie im Falle Griechenlands unterminiert, muss hingegen unterbleiben. In multilateraler Kooperation mit Organisationen wie den Vereinten Nationen oder der OSZE müssen Verhandlungen initiiert werden, welche vor allem dafür Sorge tragen, dass nicht weitere machtpolitische Fakten geschaffen werden.
Wladimir Putin folgt in seiner Politik einem Diktum von Thomas Hobbes aus dem Leviathan: potestas, non veritas facit legem (Macht, nicht Wahrheit macht das Gesetz). Eine derartige Machtpolitik sollte, gerade auch aus der Sichtweise einer emanzipatorischen Politik, klar verurteilt werden. Und der Gleichheitsgrundsatz, welchen die politische Linke zu Recht affirmiert, muss auch für alle Staaten gelten und folglich auf das Verhalten, vor allem aber auch die Bewertung, von Staaten angewandt werden. Was an Deutschland, der EU oder den USA kritisiert wird, kann angesichts von Russland nicht legitim sein.
Moritz Kirchner
Mitglied im Kreisvorstand DIE LINKE. Potsdam, Promovend Politische Theorie an der Universität Potsdam