Wirtschaft mit sozialen Kriterien fördern

Interview mit Ralf Christoffers, Minister für Wirtschaft und Europaangelegenheiten des Landes Brandenburg

25 Jahre nach dem Mauerfall geht es Brandenburg wirtschaftlich bestens. Können wir also entspannt in die Zukunft blicken?

Ja, die wirtschaftliche Lage ist stabil. In den kommenden Jahren aber werden uns weniger Finanzmittel zur Verfügung stehen und es zeichnet sich schon jetzt ab, dass die Konjunktur abschwächt. Geht es nach uns LINKEN, werden wir mit einer vorausschauenden Wirtschaftspolitik reagieren, um stabilisierend auf die soziale und wirtschaftliche Situation einzuwirken. In den vergangenen 5 Jahren haben wir Rahmenbedingungen geschaffen, die das Land Brandenburg an die Spitze der ostdeutschen Länder beim Wirtschaftswachstum gerückt haben. Die Arbeitslosigkeit ist die niedrigste seit 1990. Das ist eine positive Entwicklung, aber es gibt noch zu viele prekäre Arbeitsverhältnisse. Der Koalitionsvertrag zwischen SPD und LINKEN soll das Land bis 2020 zukunftssicher machen.

Zum Beispiel?

Ziel ist es weiterhin, dauerhafte und gute Arbeitsplätze zu schaffen und alles dafür zu tun, bestehende Arbeitsplätze zu sichern.

Aber Brandenburg hat empfindliche Rückschläge hinnehmen müssen, zum Beispiel in der Solarbranche…

Die Solarbranche hat gezeigt, dass es ohne eine vorausschauende Industrie- und Technologiepolitik auch keine sicheren Arbeitsplätze im Bereich der Erneuerbaren Energien gibt. Aber es ist uns zur damaligen Zeit nicht gelungen, unser industriepolitisches Verständnis in bundespolitische Entscheidungen zu überführen. Inzwischen gibt es dazu eine offenere Diskussion. Damals war aber bereits klar, dass die reine Modulproduktion nicht auf Dauer wettbewerbsfähig ist. Aber rund 75 Prozent der Beschäftigten in Frankfurt (Oder) konnten vermittelt werden, in Prenzlau ist die industrielle Kernsubstanz erhalten worden.

Für Brandenburg haben wir neue Grundlagen gelegt – mit der Innovationstrategie oder dem Aktionsplan „ProIndustrie“. Mit der Innovationsstrategie wollen wir eine noch engere Verknüpfung von Wissenschaft und Wirtschaft erreichen und so gemeinsam mit Berlin zu einer europäischen Innovationsregion werden. Der Aktionsplan „ProIndustrie“ orientiert sich zum einen auf die Erhaltung des Industriestandortes Brandenburg und wird mit seinen Maßnahmen den neuen Anforderungen an die Unternehmen, aber auch an die neuen Bedingungen der Arbeitswelt, gerecht. Handwerker, Dienstleister und Mittelständler mit regionaler Verwurzelung sowie die Freien Berufe stehen dabei besonders im Fokus. Gerade das Handwerk mit seinen vielen Betrieben, das eine hohe Zahl an Arbeitsplätzen zur Verfügung stellt, ist in seiner Bedeutung kaum zu überschätzen. „Kräfte zu bündeln“ ist dafür ein übergeordnetes Prinzip unserer Förderpolitik. Damit wollen wir die Steigerung des Wachstums und der Beschäftigung unterstützen. Ein Bestandteil davon ist, dass wir Technologieentwicklung und Technologietransfer, also die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft, zu einem zentralen Thema unserer Politik gemacht haben, denn neue und innovative Produkte sind der Schlüssel für wirtschaftlichen Erfolg und dienen so der Sicherung von Arbeitsplätzen. Die Brandenburger Landesregierung wird Forschung und Entwicklung jährlich mit 200 Mio. Euro unterstützen.

Wie kann das gelingen, wenn weniger Finanzmittel als bisher zur Verfügung stehen?

Wir haben bereits begonnen das Fördersystem umzubauen. Neben Zuschüssen für Unternehmen und Projekte werden mehr und mehr Darlehen die Basis für die Unterstützung der Wirtschaft bilden. Das hat den Vorteil, dass das Geld, das wir ausgeben, zu einem späteren Zeitpunkt zurückfließt und wir es dann wieder neu einsetzen können. Die Höhe der Förderung wird unter anderem an soziale Kriterien geknüpft, ein weiteres Kriterium ist aber auch die Energieeffizienz. Darüber hinaus werden wir die Beratungs- und Dienstleistungsangebote für die Wirtschaft ausbauen. Beispielsweise kann unsere Wirtschaftsfördergesellschaft, die ZukunftsAgentur Brandenburg (ZAB), durch die Integration von Teilen der Arbeitsmarktförderung sowohl bestehende Unternehmen als auch mögliche Investoren bei der Suche nach Fachkräften unterstützen.

Gerade den kleinen und mittelständischen Unternehmen, aber auch den Handwerksbetrieben fällt es immer schwerer Fachkräfte zu finden. Wie können Sie helfen?

Die rot-rote Koalition will das Image des Landes stärken. Es muss bekannter werden, dass Brandenburg ein modernes, tolerantes und lebenswertes Land ist. Dies ist eine der Voraussetzungen, um Fachkräfte anzuwerben und hier vorhandene zu halten. Es muss klar sein, dass man bei uns Arbeitsplätze findet, die anständig bezahlt werden, die sicher sind, die die Vereinbarkeit von Job und Familie ermöglichen, bei denen altersgerechte Arbeitsbedingungen eine Rolle spielen. Natürlich gehören zu einem guten Arbeitsplatz auch ein betriebliches Gesundheitsmanagement und hohe Standards beim Arbeitsschutz. Den Rahmen dafür setzt eine funktionierende Sozialpartnerschaft. Ich möchte daran erinnern, dass die LINKE es war, die 2010 einen Mindestlohn für öffentliche Aufträge eingeführt hat, damit war Brandenburg Vorreiter in Deutschland.

Handel und Wandel werden immer globaler, wie kann ein vergleichsweise kleines Bundesland wie Brandenburg hier mithalten?

Gerade für die kleinen und mittelständischen Unternehmen sind der Schritt in die Außenwirtschaft und die Erschließung internationaler Märkte eine große Chance, aber auch eine besondere Herausforderung. Deshalb unterstützen wir die Bemühungen der Wirtschaft, auf den internationalen Märkten Fuß zu fassen. Wir werden national die Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern intensivieren und international die Kontakte zu unserem Nachbarland Polen sowie die Kooperation mit den Ländern des Ostseeraums verstärken.

Brandenburg ist mehrfach für seine Leistungen beim Ausbau der Erneuerbaren Energien ausgezeichnet worden. Haben Sie erreicht, was zu erreichen war?

Große Herausforderungen liegen noch vor uns: Beispielsweise der Netzausbau und die Speicherung des Stroms aus Wind und Sonne oder die Verknüpfung von Strom- und Wärmeerzeugung. Je schneller wir hier vorankommen, desto eher können wir auf die fossilen Energieträger verzichten.

Viele Antworten auf die Frage „Wie weiter mit der Energiewende?“ werden in Berlin entschieden. Was kann Brandenburg da ausrichten?

Wir widmen uns Themen, die aus unserer Sicht längst hätten von der Bundesregierung entschieden werden müssen. Beispiel ist die Systemintegration der Erneuerbaren Energien unter den Stichworten Netzausbau, Versorgungssicherheit und Speicherfähigkeit. Wir werden beispielsweise Modellvorhaben zu Speichertechnologien entwickeln und fördern. Dies dient nicht nur dazu, die Erneuerbaren Energien weiter voran zu bringen, es bringt uns auch weiter beim Ausbau der Industriestrukturen in Brandenburg, es ist also auch ein eindeutiger industriepolitischer Kurs, den wir steuern.

In Brandenburg sind die Entgelte für die Stromnetze besonders hoch. Wie kann das Land hier gegensteuern?

Wir setzen uns weiter dafür ein, dass die Kosten für den Netzausbau bundesweit gerecht umgelegt werden. Bislang werden die Kosten regional in den Gebieten erhoben, für die die Netzbetreiber zuständig sind. Ziel ist ein bundesweit einheitliches Netzentgeltsystem für die Höchstspannungsnetze. Für dieses Ziel werbe ich seit 2011 bei meinen Kollegen in den Ländern. Inzwischen mehren sich die Stimmen, die eine erneute Bundesratsinitiative zu diesem Thema mittragen würden.

Stichwort Netze: Ein ebenso viel diskutiertes Thema sind die Breitbandnetze, die den schnellen Zugang ins Internet ermöglichen.

Breitbandnetze sind von großer Bedeutung für die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Und sie sind ein Bestandteil der Daseinsvorsorge für die Bürgerinnen und Bürger. Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode begonnen und werden den Breitbandausbau auch in den kommenden Jahren fortsetzen. 54 Mio. Euro aus europäischen Mitteln werden auf Basis der „Glasfaserstrategie 2020“ dafür bereitgestellt, bis Ende 2015 sollen alle Bereiche, die weniger als 6 MBit Grundversorgung aufweisen und in den nächsten 4 Jahren nicht privatwirtschaftlich erschlossen werden, versorgt sein. Die bisher aus technischen Gründen nicht berücksichtigte Region Spreewald soll bis 2019 erschlossen werden.

Die Bürgerinnen und Bürger, die in den Genuss besserer Verbindungen kommen, wird es freuen. Was hat die Wirtschaft davon?

Moderne Breitbandnetze sind ein Standortvorteil, wenn es um die Anwerbung von Investoren geht. Das ist aber nicht alles. Die Wirtschaft digitalisiert sich mehr und mehr. Informationstechnologien durchdringen die Industrie und spielen eine entscheidende Rolle beim Strukturwandel der Region. 80 Prozent aller Innovationen sind mittlerweile IT-basiert. Durch Informations- und Kommunikationstechnologien wachsen im verarbeitenden Gewerbe die technischen mit den wirtschaftlichen und organisatorischen sowie logistischen Prozessen zusammen. Die Industrieproduktion kann dadurch flexibler und kostengünstiger auf individuelle Kundenwünsche eingehen und organisiert die Fertigung zugleich ressourcenschonender. Die Industrie 4.0 als Fusion von Fertigung und IT erfordert somit den konsequenten Wandel von Geschäfts- und Fertigungsprozessen. Diesen Entwicklungsprozess werden wir aktiv begleiten.

Das bedeutet aber auch, dass die digitalen Prozesse vielfältiger und damit angreifbarer werden…

Das ist nicht erst seit den Enthüllungen von Edward Snowden ein Thema. Wir müssen darauf hinwirken, dass Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Wirtschaft ihre Daten ausreichend schützen. Das bedeutet aber nicht, dass das sozial und digital vernetzte Zusammenleben in der Digitalen Gesellschaft vereinbar mit der Idee eines Überwachungsstaates sein kann. Das Recht auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung gilt analog wie digital.