„Ich möchte ein Leben in Frieden und ohne Angst führen“
Wir freuen uns sehr, dass das Interview mit Abdul T. aus Syrien zustande gekommen ist. Abdul T. ist 33 Jahre alt, verheiratet und hat zwei kleine Töchter. Er hat die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige vor einigen Monaten kontaktiert und sie gebeten, ihn bei seinem Verfahren gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu unterstützen. Mittlerweile ist Abdul T. als Flüchtling anerkannt und lebt mit einem Teil seiner Familie in einer Wohnung in Friedrichshain bei Döbern (Landkreis Spree-Neiße).Herr T., bitte schildern Sie uns Ihr Leben vor dem Ausbruch des Krieges in Syrien. Was ist Ihr Beruf und wo haben Sie gearbeitet? Wie sah Ihr Alltag und der ihrer Familie aus?
Unsere große Familie hat in Ariha, einer Stadt mit ca. 50.000 Einwohnern zwischen Latakia und Allepo, gelebt. Mein Vater hat über 30 Jahre als Lehrer für Kunst und Design gearbeitet, und als Künstler bei der Stadtgestaltung mitgewirkt. Er war angesehen und geachtet. Ich habe einen Hochschulabschluss in Finanzwissenschaft und Banking, habe an einer Berufsschule als Lehrer gearbeitet und war auch im Bereich Designing tätig. Unsere Familie war wohlhabend, wir besaßen Wohneigentum, Autos, einen Designing-Shop im Stadtzentrum und eine Olivenplantage. Meine Brüder und ich lebten mit unseren Familien und unseren Eltern in einem großen Haus auf verschiedenen Etagen. Wir hatten alles was wir brauchten und waren mit unserem Leben sehr zufrieden.
Wie hat sich die Situation in Ihrer Heimatstadt und das Leben Ihrer Familie mit Beginn des Kriegs verändert?
Während des arabischen Frühlings formierte sich im April 2011 in unserer Stadt eine Gruppe von 15 – 20 Personen, vorwiegend Intellektuelle, um in friedlichen Demonstrationen demokratische Veränderungen zu fordern. Ich gehörte mit meinen Brüdern zu ihren Gründern. Wir demonstrierten friedlich, unbewaffnet, unabhängig von Parteien und äußeren Einflüssen. Unser Ziel war es, die Menschen aufzurütteln. Aus den ca. 20 Personen in der ersten Woche wurden in der zweiten Woche schon 200 – 300. Erst nach fünf Monaten wurden Forderungen nach Assads Sturz laut. Im August 2011 wurde ich zum militärischen Sicherheitsdienst vorgeladen, als Anführer registriert, verwarnt und mit einem Demonstrationsverbot belegt (das ich aber nicht einhielt). Mitte 2012 wurde Ariha als strategischer Punkt an der Autobahn zwischen Latakia und Allepo als eine von zwei Städten im ganzen Land vollständig von der Armee besetzt. Es herrschte militärische Willkür, Menschen wurden einfach so erschossen, darunter auch Freunde von mir. Auf vereinzelten bewaffneten Widerstand in der Bevölkerung reagierte die Armee mit grausamer Vergeltung.
Was war der Auslöser für Ihre Entscheidung, Syrien zu verlassen?
Nach Beschuss durch Panzer und Hubschrauber wurden Häuser in unserer Nachbarschaft zerstört. Es erfolgten wiederholt Hausdurchsuchungen, bei denen meine Festnahme und die meiner Brüder drohte. Da fassten wir den Entschluss, wir müssen weg von hier, egal wohin.
Herr T., wie haben Sie die weite Strecke nach Deutschland zurückgelegt, wie ist es Ihnen auf diesem Weg ergangen? Welche positiven und negativen Erlebnisse hatten Sie?
Wir verließen Ariha und überquerten zu Fuß illegal die Grenze zur Türkei, die so nahe ist, dass wir sie von unserem Haus aus sehen konnten. Wir gingen ohne Gepäck und nahmen nur Papiere, Geld und Schmuck mit. Zwei Jahre lang warteten wir in der Türkei, dass sich die Situation in Syrien ändert. Wir lebten dort unter sehr schwierigen Bedingungen, besonders mein 65-jähriger Vater hoffte sehnlichst auf eine Rückkehr, er war zu keiner weiteren Flucht bereit. Im August 2014 machte ich mich als ältester Sohn auf den beschwerlichen Weg nach Europa, den ich erst im April 2015 beenden konnte. Nicht vergessen kann ich die lebensgefährliche Überfahrt von der Türkei nach Griechenland, den Fußmarsch mit ständiger Furcht vor der Polizei, das Übernachten im Wald bei Temperaturen bis zu -11 Grad, meinen Gefängnisaufenthalt in Mazedonien und die menschenunwürdige Behandlung durch die Polizei in Ungarn. Den Weg von Budapest nach Passau konnte ich in einem Auto zurücklegen, von dort ging es weiter mit dem Zug über Nürnberg, Hannover und Berlin nach Eisenhüttenstadt.
War es Zufall, dass Sie Ihre Flucht nach Deutschland geführt hat oder stand die Bundesrepublik als Ziel von Anfang an fest?
Mein Ziel war ein Land, in dem Flüchtlinge menschenwürdig behandelt werden und Möglichkeiten zur Integration haben, ich dachte an Schweden, die Niederlande oder Deutschland. Da entfernte Verwandte in Deutschland leben und ich die Hoffnung auf ein Studium dort habe, entschied ich mich für Deutschland.
Was war Ihr erster Eindruck als Sie in Deutschland ankamen? Sind Sie gleich nach Brandenburg gekommen oder gab es weitere Stationen in Deutschland?
Mein erster Aufenthaltsort war Eisenhüttenstadt, dann ein Übergangswohnheim in Forst, von dort ging es in eine Wohnung in Friedrichshain bei Döbern (Landkreis Spree Neiße). Meine ersten Eindrücke von deutschen Menschen waren ein Mann aus Hamburg im Zug von Passau, er verhielt sich freundlich, interessierte sich und gab mir Hinweise für die Zugfahrt. Positive Eindrücke habe ich auch von deutschen Polizisten, die für mich unerwartet freundlich waren, und Menschen in Friedrichshain und Döbern, von denen ich Hilfe und Unterstützung in verschiedener Weise erhielt.
Welche Erwartungen haben Sie an ein Leben in Deutschland und welche Ängste haben Sie?
Ich habe keine Ängste, ich bin ein positiv denkender Mensch, der offen ist für die Zukunft. Ich möchte keine Ansprüche stellen und mir nichts schenken lassen, sondern mit meiner Familie ein Leben in Frieden und ohne Angst führen. Ich möchte studieren, damit mein Hochschulabschluss in Deutschland anerkannt wird und ich mit einer qualifizierten Arbeit meine Familie ernähren kann.
Das Interview wurde in Döbern in englischer Sprache geführt von Norbert Höink.