DIE LINKE. Brandenburg vor der Aktivenkonferenz – Politische Gedanken

Einleitung

DIE LINKE. Brandenburg begeht an diesem Wochenende ihre Aktivenkonferenz, mit der sie sich schon jetzt inhaltlich-programmatisch auf die Landtagswahlen 2019 einstimmen will. Dieser lange Vorlauf ist sehr zu begrüßen, ebenso die Idee eines länger angelegten Zukunftsdialoges. Dies erscheint vor allem deshalb sinnvoll, weil in der operativen parlamentarischen Arbeit sowie dem Wirken der Landesregierung strukturell bedingt häufig nicht die Zeit gegeben ist, um über längerfristige politische Zielsetzungen und Pläne nachzudenken. Mit diesem Papier sollen einige Gedanken vor dieser Konferenz zusammengetragen und inhaltliche Ideen eingebracht werden.

Von der oppositionellen PDS zur regierungstragenden LINKEN

Der Landesverband hat eine bewegte Geschichte hinter sich, deren Zukunft offen ist. Die Besonderheit in Brandenburg ist zweierlei. Erstens war die PDS auch als Oppositionspartei schon am Brandenburger Weg beteiligt, das heißt am Verfassungsgebungsprozess unter Einbeziehung auch unserer Partei. Auch Manfred Stolpes Narrativ von Brandenburg als der „Kleinen DDR“ trug dazu bei, dass die traditionellen Spannungen zur SPD milder waren als anderswo. Eine Konsenskultur nach außen korrelierte mit einer Konsenskultur nach innen. Ein anderer, spezifischer Faktor des Landesverbandes war und ist, dass er traditionell ein Hort der Ruhe und Stabilität war. Die großen Auseinandersetzungen in der Bundespartei wurden und werden meist unaufgeregt zur Kenntnis genommen.

Die Partei selbst aber hat sich enorm gewandelt. Als PDS war sie eine klare Interessenpartei der Ostdeutschen, insbesondere auch systemnaher Menschen. Sie war zugleich Protestpartei und damals auch als solche erfolgreich, da die Wahl der PDS kurz nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus tatsächlich Protest darstellte und signalisierte. Sie war aber immer auch Anwalt der einkommensschwächeren, als eine politisch-ökonomische Interessenpartei, auch wenn diejenigen, für die die PDS Politik machte, sie nicht in dem Maße wählten wie die Mittelschicht.

1999 stand das erste Mal die Regierungsbeteiligung ernsthaft zur Diskussion. Nach dem Magdeburger Modell von 1994 war dieses Tabu gebrochen, und es war auch völlig richtig, eine andere Politik in Brandenburg anzustreben. Dies kulminierte in dem legendären Satz der damaligen Arbeits- und Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD): „Mit den Arschlöchern von der CDU koaliere ich nicht.“ Vielleicht sollten die Genossinnen und Genossen, die im Regine-Brandt-Haus residieren, darüber heute nochmals nachdenken…

Auch 2004 wurde über rot-rot verhandelt. Die inhaltlichen Konzessionen wurden mehr, und der scharfe Oppositionskurs weniger. Es ging natürlich auch darum, durch eine Regierungsbeteiligung in der neuen Gesellschaftsordnung anzukommen und diese zumindest mitzugestalten. Es gab aber auch schlicht mehr Menschen, welche unsere Partei wählten, damit wir unsere Politik endlich umsetzen.

2009 war es dann soweit: DIE LINKE, die sich ein hartes Wettrennen mit der SPD um den ersten Platz im Wahlkampf gab und Höhenflüge in den Umfragen erlebte und knapp 30 Prozent holte, konnte nur durch eine Materialschlacht der SPD und Platzecks persönliche Sympathiewerte vom ersten Platz verdrängt werden. Die Entscheidung der in Brandenburg besonders machtbewussten SPD für eine rot-rote Koalition war sicher keine Liebesheirat, sondern sie war vorwiegend der Angst geschuldet, dass eine weiter erstarkende LINKE in der Opposition ihren Machtanspruch gefährden könnte. Hinzu kommt, dass sowohl persönlich als auch politisch der Vorrat mit der CDU aufgebraucht wurde.

Es waren harte Wochen und Monate für den Landesverband, denn verschiedene Stasi-Verwicklungen und Bürgerinitiativen belasteten den Start. Ebenso gab es natürlich eine Unerfahrenheit im Regieren, die zu Anfangsfehlern führte. Dann aber stabilisierte sich die Regierung, während die Bundespartei insbesondere 2011 in besonderen Schwierigkeiten war. Vor allem aber musste DIE LINKE unpopuläre Entscheidungen mittragen, da einerseits die Sozialdemokratie von bestimmten Positionen nicht abrückte (Braunkohle!), andererseits die damaligen Haushalts- und Demographieprojektionen düster aussahen. Der politische Gestaltungsspielraum war gering, die übernommenen Altlasten von schwarz-rot (wie die jahrelange Nichtausbildung im öffentlichen Dienst) enorm. Hinzu kam, dass die Fähigkeit, die eigenen Erfolge als solche zu verkaufen, nicht hinreichend ausgeprägt war und die Sozialdemokratie vieles geschickt für sich reklamierte. Die Partei versuchte sich an einer Parteireform, diese wurde jedoch nicht konsequent umgesetzt. Hinzu kommt, dass die politische Führung und strategische Ausrichtung des Landesverbandes nicht immer klar erkennbar war.

2014 war dann eine besondere Zäsur. Dieser massive Einbruch des Wahlergebnisses war so nicht erwartet worden, und er deckt sich auch nicht mit der realen Performanz in der Regierung. Dieses Phänomen mussten und müssen aber auch andere Parteien regelmäßig erfahren. Es gab dann vielmehr eine Schockstarre, und eine nur sehr bedingte Aufarbeitung dieses Ergebnisses. Die angekündigte grundlegende Veränderung des Politikstils hat es kaum erkennbar gegeben, die eigene parteipolitische Profilierung wurde hingegen erkennbar.

Innerhalb der Diskussion um ein erneutes rot-rotes Bündnis fand im Landesverband eine bemerkenswerte, aber auch bedenkliche Diskursverschiebung statt, welche am eindrucksvollsten in der Rede von Helmuth Markov (aber nicht nur bei ihm) deutlich wurde. Denn es wurde nicht mehr nur argumentiert, was wir alles konkret in der Landesregierung erreichen wollen. Sondern es wurde auch davor gewarnt, was die andere politische Konstellation, nämlich rot-schwarz, alles machen würde, was wir nicht wollen. Negative Campaigning wurde salonfähig, woraus aber auch die Notwendigkeit der eigenen programmatischen Klärung weniger wichtig wurde. Umso wichtiger ist diese Aktivenkonferenz.

Ich erinnere mich noch intensiv an die Aktivenkonferenz in Bollmannsruh. Im von mir und Sten Marquass moderierten Workshop machten wir die Frage auf, was das Spezifikum der LINKEN in Brandenburg sei. Die Quintessenz war: „Wir regieren.“ Dies ist jedoch für eine Programmpartei wie DIE LINKE, die anders als die CDU im Bund und die SPD im Land sich nicht als natürliche Regierungspartei sieht, inhaltlich deutlich unterdeterminiert.

Hinzu kamen im Laufe der Jahre leider einige Skandale oder als solche titulierte Vorgänge, an denen Politiker*innen der LINKEN beteiligt waren. Diese sorgten leider dafür, dass unser Distinktionsgewinn als moralisch glaubwürdigste Partei so nicht mehr gegeben ist, welcher für nicht wenige ein entscheidendes Wahlmotiv darstellte. Ebenso war der jeweilige individuelle Umgang damit von differenzieller Dignität.

Der große Zustrom von Menschen nach Deutschland 2015ff war ganz sicher auch für unseren Landesverband ein Schlüsselereignis. Denn eine gewisse Unbestimmtheit der eigenen Rolle wurde nun extern wieder geklärt, nämlich die klare Verortung der LINKEN als Partei der Humanität, der Menschenrechte, als Partei der Flüchtlingshelferinnen und Flüchtlingshelfer. Dadurch haben wir zwar Wählerinnen und Wähler insbesondere an die AfD verloren, sind aber in ganz neue Wählerschichten eingedrungen und wählbar für Menschen geworden, die uns vorher, insbesondere auch aufgrund unserer Geschichte im real existierenden Sozialismus, nicht auf dem Schirm hatten. Diese Veränderung zeigt sich nicht nur im Elektorat, sie zeigt sich auch in den Mitgliederstatistiken und konkret auf Parteitagen.

Ein Schlüsselereignis war ganz sicher die Verwaltungsstrukturreform. Diese wurde als ein zentrales politisches Projekt der Legislatur ausgerufen und sie wurde ebenso als Gradmesser für politische Durchsetzungsfähigkeit stilisiert. Genau deshalb war ihre Absage, unabhängig von deren Richtigkeit, eben auch ein politisches Scheitern. Aus diesem muss selbstverständlich auch gelernt werden, denn unsere inhaltlichen Argumente waren richtig, aber unsere Ansprache, unser Storytelling und vor allem das Herunterbrechen auf konkrete Veränderungen war mehr als nur suboptimal. Hinzu kommt, dass die andere Seite geschickt Ängste gestreut und instrumentalisiert hat.

Es muss jetzt darum gehen, dieses produktiv aufzuarbeiten und unter den veränderten finanziellen, politischen und demographischen Rahmenbedingungen eine neue Politik gleichwertiger Lebensverhältnisse zu machen.

Durch den Parteitag im März haben wir eine neue, frische Führung und das Storytelling von „Brandenburgs Zukunft ist weiblich“ hat gut funktioniert. Die Umfragen haben sich stabilisiert, wobei sich die verschobene Basislinie daran festmachen lässt, dass wir uns jetzt schon über 20 Prozent freuen, was zwei Jahrzehnte lang für uns ein schlechtes Ergebnis gewesen wäre. Die aufgezwungene Diskussion um ein mögliches Bündnis mit der CDU war nicht das beste Begleitereignis zum Start der neuen politischen Führung, aber es zeigt: Wir müssen miteinander reden.

Heute ist die Ausrichtung, aber auch das Selbstverständnis des Landesverbandes unklar. Wir sind irgendwie noch Interessenpartei der Ostdeutschen (auch wenn die „Dritte Generation Ost“ politisch plural ist), nach knapp acht Jahren in der Regierung können wir nicht mehr Protestpartei sein, wir sind Partei der Flüchtlingshelferinnen und -helfer, wir sind ein Hort der Stabilität der Bundespartei. Aber inwieweit wir jetzt Programmpartei, Regierungspartei, Interessenpartei, Lifestyle-Partei (so kommt mir Berlin manchmal vor) oder etwas anderes sind, oder all dies in Kombination, wie Martin Günther jüngst bei Facebook anmerkte, erscheint wahrlich unklar.

DIE LINKE in der Regierung

Was wir machen, ist Reformpolitik à la carte. Im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten versuchen wir, das Beste rauszuholen. Allerdings ist die Verknüpfung von politischem Handeln und gesellschaftlicher Transformation nur sehr bedingt gegeben und würde auch spätestens an diesem Koalitionspartner scheitern. Revolutionäre Realpolitik, wie Luxemburg es nannte, machen wir sicher nicht.

Wir haben den Haushalt nicht nur konsolidiert, sondern wir haben es geschafft, dass Überschüsse erwirtschaftet werden, die auch deutlich über denen vergleichbarer Länder liegen. Und anders als z. B. in Sachsen, wo die Haushaltskonsolidierung mit einem immer stärker spürbaren Kahlschlag beim Personal einherging, haben wir dies sozial verträglich geschafft. Damit konnten wir insbesondere das seit Adenauer bestehende konservative Narrativ durchbrechen, dass Linke nichts von Geld verstünden, außer dass sie es von anderen haben wollen. Das Problem ist nur: Die Haushaltskonsolidierung ist nachweislich nicht das zentrale Anliegen unserer Wählerinnen und Wähler. Hinzu kommt, dass wir nach wie vor kein konsistentes Narrativ haben, warum wir auf Bundesebene Schäuble oder Scholz für das Insistieren auf der schwarzen Null kritisieren, uns auf Landesebene aber mit Überschüssen brüsten. Die jüngsten Gehaltserhöhungen für öffentlich Bedienstete waren hingegen deutlich spürbar und gaben uns politischen Kredit.

In der Arbeitsmarktpolitik sind die Rahmendaten immer besser, was aber zu einem erheblichen Teil auf die gute konjunkturelle Lage rückführbar ist. Die Abkehr von der Strategie des Niedriglohnlandes Brandenburg wird immer mehr Konsens, was eine wichtige Diskursverschiebung darstellt und unsere Anschlussfähigkeit in Richtung Gewerkschaften erhöht. In der Sozialpolitik sind die Ergebnisse linken Regierungshandelns zu häufig noch unklar.

In der Justizpolitik gibt es wirkliche Probleme, die leider auch unter unserer Führung nicht besser wurden. Zwar wird endlich wieder ausgebildet. Aber der Krankenstand ist zu hoch, die Personalengpässe gefährden das Resozialisierungsziel und zunehmend auch die Sicherheit in den Anstalten und das neue Strafvollzugsgesetz droht mangels Ressourcen nicht umgesetzt zu werden. Hinzu kommt ein teils anachronistischer Führungsstil innerhalb der Anstalten und ein systemisches Wertschätzungsdefizit. Hier müssen wir besser werden und den Unterschied machen.

Insgesamt also haben wir einiges erreicht, aber es bleibt sehr vieles zu tun, und die Möglichkeiten der Gestaltung werden in den Ministerien unterschiedlich gut genutzt.

Programmtische Ideen

DIE LINKE möchte an ihrem Wahlprogramm feilen. Hierzu soll es nun skizzenhaft Ideen geben, die politisches Handeln leiten können. Diese werden zunächst kurz erläutert und dann mit konkreten Maßnahmen untersetzt.

1. Digitale Inklusion: Alle Bürgerinnen und Bürger sollen selbstbestimmt die Vorteile der Digitalisierung nutzen können

  • Mehr Geld für die Volkshochschulen für Digitalangebote
  • Landesfachverband Medienbildung deutlich stärker ausstatten
  • Lehrer*innenbildung an der Universität Potsdam und am LISUM mit deutlich mehr Mitteln für digitale Bildung ausstatten

2. Stärkung der Staatlichkeit: Kernaufgaben der Staatlichkeit wie Polizei, Feuerwehr und Justiz müssen deutlich besser ausgestattet werden

  • Weitere Erhöhung des Ausbildungskorridors
  • Verlässliche Karrierewege und schnelle Beförderungen, damit der öffentliche Dienst mit der freien Wirtschaft konkurrieren kann
  • Konsequenter Ausbau des betrieblichen Gesundheitsmanagements

3. Smarte Kommunen: Die Möglichkeiten der Digitalisierung müssen in den Kommunen und im Kreis konsequent genutzt werden

  • Möglichkeit, jedwede Kommunikation elektronisch zu realisieren
  • Konsequente Digitalisierung der Verwaltung; hierzu sind dezentral Weiterbildungsmöglichkeiten anzubieten
  • Verbot des Datenverkaufes seitens der Kommunen; aber Nutzung von Daten, um öffentliche Güter wie Licht, Müllabfuhr etc. dem tatsächlichen Bedarf anzupassen

4. Gerechtigkeit ganztags: Wir brauchen endlich eine andere Schulpolitik

  • Ganztagsschulen als Standard
  • Eine Erhöhung der Zahl der ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer
  • Schule muss endlich als multiprofessionelles System gedacht und anerkannt werden.

5. Ein neuer Gesellschaftsvertrag: Analog zum Neuen Potsdamer Toleranzedikt sollte es eine klare Selbstverständigung und eine gemeinsame Basis geben, die aber nicht als deutsche Leitkultur von oben herab dekretiert wird, sondern als ein Brandenburg von allen für alle entsteht

  • Dezentrale Konferenzen und Workshops zu Identitäten und geteilten Werten
  • Direkter Dialog von Landespolitik und Verwaltung mit Bürgerinnen und Bürgern

 

Machtpolitisches

Die Frage ist natürlich, mit wem dies umgesetzt werden soll. Nach zehn Jahren innerhalb derselben Regierungskonstellation gibt es natürlicherweise eine gewisse politische Sklerose. Hinzu kommt, dass es bestimmte Widerstände beim Koalitionspartner gibt, insbesondere in der Bildungs- und Energiepolitik, die sich innerhalb der jetzigen Konstellation nicht aufbrechen lassen.

Ebenso muss tatsächlich klar sein, dass Regieren kein Selbstzweck sein darf, sondern programmatisch untersetzt werden muss. Das gilt auch für ein etwaiges AfD-Abwehrbündnis mit der CDU, welches alles andere als wünschenswert ist, aber leider nicht a priori ausgeschlossen werden kann. Denn die AfD an der Regierung kann wahrlich Schlimmes bewirken, was es zu verhindern gilt. Denn sie haben dann staatliche Ressourcen unter ihrer Kontrolle, um die Gesellschaft weiter zu spalten. Dennoch muss ein Verhinderungsbündnis mit der CDU die absolute ultima ratio sein und eine klare Vertragsgrundlage haben. Jedwede politische Konstellation bedarf der Narration und ein drittes rot-rotes Narrativ ist unabhängig vom finalen Wahlergebnis schwer mit Begeisterung zu erfüllen.

Aus der Sicht des Autors ist tendenziell ein rot-rot-grünes Bündnis 2019 anzustreben, sofern die Inhalte stimmen. Denn mit den Grünen gibt es die Chance, die SPD in wichtigen Fragen zu bewegen, da es dann innerhalb der Koalition 2:1 steht. Rot-rot-grün darf jedoch kein wahlarithmetischer Selbstzweck sein, sondern muss konsistent inhaltlich unterfüttert und kohärent erzählt werden.

Wenn die eigenen Inhalte nicht umfassend repräsentiert sind, sollte auch die Option der Opposition keineswegs ausgeschlossen werden (auch wenn der Gang in die Opposition kein Garant für Regeneration ist, siehe DIE LINKE in Mecklenburg-Vorpommern). Das wichtigste ist jedoch: Wir brauchen wieder eine umfassende gesellschaftliche Idee, ein neues Leitbild für Brandenburg, aber auch ein Leitbild für unseren Landesverband.

Moritz Kirchner, Landessprecher fds Brandenburg

Postscriptum: Der Autor vertritt in diesem Text ausschließlich seine eigenen politischen Positionen.