Anja Mayer
Anja Mayer – Foto: Ben Gross Photography

Mitgliederbrief zum Entwurf des NSU-Aufarbeitungsgesetz (Verfassungsschutzgesetz)

Liebe Genossinnen und Genossen,

wir übersenden euch hiermit den Entwurf für das NSU-Aufarbeitungsgesetz, über den wir seit einiger Zeit im Rahmen der Debatte über die Sicherheitsgesetze in Brandenburg im Gespräch sind.

Den Text des Gesetzentwurfs findet Ihr unter folgendem Link: https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku/w6/drs/ab_10900/10948.pdf (PDF-Download)

Unser Landesvorstand hat dazu am 29. Januar 2019 erklärt:

„Das politische Anliegen der LINKEN … war und bleibt es, Konsequenzen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss erstmalig in Deutschland umfassend in einem Verfassungsschutzgesetz zu verankern. Dabei geht es uns darum, das bestehende Gesetz um nachfolgende Punkte zu verändern:

  1. Konsequente Beibehaltung des Trennungsgebotes zwischen Verfassungsschutz und Polizei. Konzentration des Verfassungsschutzes auf sein Kerngebiet zur Gefahrenabwehr und keine Maßnahmen der politischen Bildung.
  2. Wenn schon nicht auf den Einsatz von V-Leuten verzichtet werden kann, muss dieser mindestens strengsten gesetzlichen Regelungen unterworfen werden.
  3. Einführung einer unabhängigen Innenrevision beim Verfassungsschutz.
  4. Ausweitung der parlamentarischen Kontrolle durch eine Stärkung der Rechte der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) und durch die Einsetzung eines Ständigen Bevollmächtigten der PKK gegenüber dem Verfassungsschutz.“

Die Landtagsfraktion teilte dieses Herangehen. Seither hat es intensive Verhandlungen mit dem Koalitionspartner gegeben. Wir konnten uns dabei durchsetzen – von der Tatsache, dass es überhaupt so ein Gesetz geben soll, zu dem wir die Initiative ergriffen haben, bis hin zu den grundlegenden Bestimmungen:

  1. Das Trennungsgebot ist eindeutig im Gesetz definiert.
  2. Sowohl die sog. V-Leute als auch die verdeckt Ermittelnden dürfen nur innerhalb eines vorgegebenen Rahmens angeworben bzw. tätig werden und sind Regeln unterworfen, die schwere Straftaten ausschließen. Über Ausnahmen ist die PKK zu informieren. Zusammen mit der Innenrevision ist damit eine klare Kontrollmöglichkeit eröffnet.
  3. Der Einführung einer Innenrevision wird mit dem Aufbau eines eigenständigen Referates entsprochen. Dessen Leitung hat auch das Recht, sich direkt an die PKK zu wenden. Dazu kommt eine Whistleblower-Regelung. Sie ist gegenüber dem Bundesrecht so verändert worden, dass die Namen von Angehörigen des Verfassungsschutzes, die sich an die PKK wenden, ohne ihr Einverständnis nicht weitergegeben werden dürfen.
  4. Stärkung der parlamentarischen Kontrolle: PKK und G10-Kommission werden mit dem neuen Gesetz überhaupt erst handlungsfähig gemacht. Sichergestellt ist,
    • a. dass G10 und PKK als unterschiedliche Institutionen über relevante Sachverhalte informiert werden,
    • b. dass insbesondere die G10-Kommission auch eine eigene Entscheidungskompetenz hat und
    • c. dass die PKK mit ihrem Beauftragten über ein Instrument nicht nur der Kontrolle, sondern auch des operativen Eingreifens gegenüber dem Verfassungsschutz verfügt.
    • d. Da eine Berichtspflicht ggü. der PKK besteht und ein eigenständiges Auskunftsrecht der PKK existiert, kann auch der Beauftragte selbst operativ tätig werden.

Selbstverständlich sind damit nicht alle möglichen Schlussfolgerungen aus den Erkenntnissen des NSU-Untersuchungsausschusses umgesetzt – der Beschluss von Landesvorstand und Fraktion zur Umsetzung von Zwischenergebnissen aus dem Ausschuss ist damit jedoch umgesetzt.

Dies kommt genau zum richtigen Zeitpunkt: Während wir in Potsdam noch damit befasst waren, unserem Gesetzentwurf den letzten Schliff zu geben, wurde in Berlin die Absicht von Bundesinnenminister Seehofer bekannt, die Handlungsmöglichkeiten der Geheimdienste in Deutschland deutlich zu erweitern – und zwar durch Elemente, die wir im Diskurs über die Sicherheitsgesetze hier in Brandenburg gerade ausgeschlossen haben.

Die Tür zu einem solchen Gesetz, mit dem erstmals in Deutschland Schlussfolgerungen aus der Aufarbeitung des NSU-Skandals umgesetzt werden, steht jetzt offen. Sollten wir jetzt nicht hindurch gehen, wird sie sich auf absehbare Zeit wieder schließen. Bundespolitisch fährt der Zug in eine ganz andere Richtung. Und auch landespolitisch können wir nicht damit rechnen, nach der Landtagswahl im September auf für uns günstigere politisch-parlamentarische Kräfteverhältnisse zu stoßen. Das alles muss in unsere Entscheidungsfindung zum jetzt vorliegenden Entwurf einfließen.

Mit dem Gesetz können wir, auch wenn es Schwächen hat, bundesweit ein wichtiges politisches Zeichen.

Nun ist es für uns an der Zeit, wieder zum komplexen Sicherheitsverständnis zurückzukehren, wie es dem Koalitionsvertrag und unserem Handeln zugrunde liegt: Sicherheit in der Einheit von sozialer und innerer Sicherheit.

Diana Golze & Anja Mayer
Landesvorsitzende