Den Aufbruch der Linken Brandenburg organisieren – ein Diskussionsangebot in Thesen und Vorschlägen

Unser Wahlergebnis ist bitter. Eine endgültige Antwort, was im Wahlkampf passiert ist und was in den Jahren davor, was zu diesem Ergebnis geführt hat, ist schwer und zwangsläufig immer unvollständig. Auch dieses Papier erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit geschweige denn die alleinige Wahrheit. Es sind Thesen und Vorschläge zur Diskussion. Wir sollten uns bei unserer Wahlanalyse vor allem auf die Thesen konzentrieren, die eine Bearbeitung von identifizierten Herausforderung ermöglichen und vor allem die Vorschläge zu deren Bearbeitung in die Diskussion mit einbeziehen. So wurde auch versucht in dem vorliegenden Papier zu verfahren.

Es hilft nicht auf die alte Stärke von 2005 /2009 zu schauen, wir sollten nach vorn schauen, jetzige Wähler*innen binden und weitere Wähler*innen überzeugen. Dazu müssen wir die Herausforderung annehmen, unsere Partei von unten zu stärken und auszubauen. Die einzige Währung dabei sind Mitglieder, vor allem aktive Mitglieder und aktive, bei uns eingebundene Sympathisant*innen. Zwischen 2014 und 2018 ist unsere Mitgliedschaft um 16 Prozent gesunken. Absehbar werden in den nächsten Jahren leider weitere Genoss*innen nicht mehr unter weilen oder altersbedingt kürzer treten müssen. Dass sich dies auch in Wahlergebnissen zeigt, insbesondere in gesellschaftlich für uns schwierigen Zeiten, sollte uns nicht verwundern. Wir können uns nicht auf die Medien oder ein günstiges gesellschaftliches Klima oder politische Moden, mit denen wir wieder nach vorn kommen, verlassen. Wir können unseren Erfolg nur selbst in die Hand nehmen. Um voreiligen Enttäuschungen vorzubeugen, braucht es auch Klarheit darüber, dass Erfolge langsam erarbeitet werden.

Wir können mehr werden. Dabei kann es nicht darum gehen Stellvertreterpolitik zu machen. Kümmererpartei minus Stellvertreterpolitik sollte unser Anspruch sein – nennen wir es organisierende, einbindende und verbindende Partei. Den uns oft begegnenden Frust vieler Brandenburger*innen, dass sich für sie individuell nichts verbessert, sollten wir versuchen in Zustimmung und Aktivität zu kanalisieren:

Gemeinsam können wir es schaffen. Wir brauchen euch als Mitglieder und/oder als aktive Bündnispartner*innen. Unsere Partei wird gebraucht als Partei der Hoffnung, als soziale Fortschrittspartei, als systemkritische Partei mit utopischem Überschuss, als sozialistische Partei.

Eine Wahlauswertung anhand von Wählerströmen vorzunehmen erscheint sinnvoll, da dies Aufschluss über verschiedene Wahleinstellungen geben kann. „Die“ LINKE Wähler*in gibt es nicht. Trotz einiger methodischer Unzulänglichkeiten sind die Wählerstrommodelle aussagekräftig. Ein Fokus sollte auf diejenigen Wähler*innen gelegt werden, die uns nicht mehr gewählt haben, insgesamt also rund 80.000 Wähler*innen (Abgänge an andere Parteien sowie an die Nichtwähler*innen), dies entsprach bei insgesamt 1,28 Millionen Wähler*innen mehr als sechs Prozent der Wähler*innen.

30.000 zur SPD

Thesen:

  • 1. Die Frage, wer stärkste Kraft wird – SPD oder die AfD –, hat Wähler*innen taktisch die SPD wählen lassen.
  • 2. Unser Profil war in den fünf Jahren in Abgrenzung zur SPD nicht deutlich genug erkennbar, daher war die Wahlentscheidung für die SPD statt für uns relativ einfach. Zugespitzt formuliert: Da wir im Kern sozialdemokratische Politik gemacht haben, wählten die Leute das Original.

Bearbeitungsansatz:

  • Zu 1: Die Frage, wer stärkste Kraft wird, darf nicht ein wahlentscheidendes Moment sein in Bezug auf die AfD. Wichtiger sollte sein, dass es Mehrheiten gegen die AfD gibt und es um die Positionen innerhalb dieser Mehrheiten geht und damit am Ende auch über die politische Ausrichtung von Regierungen.
  • Zu 2: Wir müssen unser eigenständiges Profil schärfen und in Abgrenzung zur SPD auch herausstellen.

13.000 zu den Grünen

Thesen:

  • 1. Der Klimawandel und die Notwendigkeit einer Klimapolitik ist eines der bestimmenden politischen Themen, das zahlt auf das Konto der Grünen ein. Unser spezifischer Ansatz der Klimapolitik ist bisher weder bekannt noch wird er hinreichend widerspruchsfrei kommuniziert und vor allem nicht praktiziert.
  • 2. Die Grünen waren für alle, die eine libertäre Gesellschaft wollen, in Brandenburg die Alternative – Stichwort: Polizeigesetz, Verfassungsschutzgesetz.

Bearbeitungsansatz:

  • Zu 1: Der Klimawandel wird uns weiterhin beschäftigen. Wir brauchen ein Profil als Partei mit konsequenter Klimapolitik mit sozialem Ausgleich, insbesondere in Abgrenzung zu den Grünen. Die Klimafrage ist eine zutiefst soziale Frage.
  • Zu 2: In Fragen der libertären Gesellschaft dürfen wir keine Uneindeutigkeiten mehr zulassen und stattdessen wieder Vertrauen in uns als soziale Bürgerrechtspartei zurückgewinnen.

12.000 zur AfD

Thesen:

  • 1. Ein Teil unserer Wählerschaft hatte schon immer ein (in Teilen) rechtes Weltbild (rassistisch, chauvinistisch, etc.). Für diese sind momentan diese Einstellungen wahlentscheidend.
  • 2. Ein Teil der Wähler*innen, die sich zur AfD wenden, tut dies auch aus „Protest“.

Bearbeitungsansatz:

  • Zu 1: Eine Anbiederung an die AfD stärkt nur das Original. Wir brauchen da weiterhin klare Kante. Wenn andere Themen wieder wahlentscheidend für jene Wähler*innen werden, die stärker mit uns identifiziert werden, werden davon vielleicht welche wieder zu uns zurückkehren.
  • Zu 2: Eine Profilstärkung in unseren Kernthemen, auch durch konfliktorientiertere Ansätze, erleichtert eine Rückkehr von Protestwähler*innen. Das Aufklären über bspw. sozialpolitische Positionen der AfD ist absolut notwendig, wird aber nur begrenzt zu einer Zurückwendung führen.

5.000 zu BVB/Freie Wähler

These:

  • BVB/Freie Wähler haben die soziale Frage für Wähler*innen, die zu ihnen gewechselt sind, besser beantwortet als wir. Das dürften vor allem Wähler*innen mit mittleren Einkommen sein.

Bearbeitungsansatz:

  • Die soziale Frage stellt sich auch für Wähler*innen mit mittleren Einkommen. In Fragen, die für diese Wähler*innen existenziell werden können, wie Altanschließerbeiträge oder Straßenausbaubeiträge, müssen wir klar beantworten, wie dies ohne soziale Härten praktiziert werden kann.

11.000 zu den Nichtwähler*innen

Thesen:

  • 1. Es dürfte eine Mischung von Motiven sein, die bereits bei den anderen Wählerwanderungen beschrieben wurden.
  • 2. Ein Teil der zu den Nichtwähler*innen Abgewanderten, insbesondere in sozial schwierigen Lagen, fühlt sich nicht mehr gehört („Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen.“) und politisch ohnmächtig („Egal wen ich wähle, es ändert sich doch sowieso nichts.“).

Bearbeitungsansatz:

  • Zu 1: Wie oben.
  • Zu 2: Wir wissen, dass sog. Organizing in „sozialen Brennpunkten“ funktioniert in Bezug auf Aktivierung zur Eigenermächtigung und Wähler*innen-Mobilisierung, aber auch dazu braucht es ein klares Profil und Konfliktfähigkeit.

Natürlich kann es nicht nur darum gehen, die abgewanderten Wähler*innen zurückzuholen, sondern es muss auch darum gehen, von SPD, Grünen etc. und aus dem Bereich der Nichtwähler*innen und der Erstwähler*innen neue Wähler*innen für uns zu gewinnen und langfristig an uns zu binden. Dies sollte mit den gleichen Ansätzen wie das Zurückholen von Wähler*innen gelingen können.

Profilbildung?

Heißt nicht Verbal-Radikalismus, sondern mit radikalen und realistischen Forderungen und Konzepten zu werben und sich gegen andere Parteien abzugrenzen, also unterscheidbar zu sein. Dazu braucht es Kommunikationsmacht, diese erreichen wir durch Kampagnenfähigkeit und Verankerung. Für Kampagnenfähigkeit und Verankerung brauchen wir (aktive) Mitglieder und Mitstreiter*innen. Diese gewinnen wir am besten, wenn unsere Forderungen und Konzepte nicht im Widerspruch stehen zu unserem konkreten Handeln als Partei oder so wahrgenommen werden.

Unter den 76.000 Wähler*innen, die uns jetzt und bereits 2014 gewählt haben, sollten noch einige sein, die prinzipiell erreichbar sind aktiv und/oder Mitglied zu werden. Wer in solchen Zeiten als Erstwähler*in DIE LINKE wählt, weiß was er tut und kann also prinzipiell auch als Mitglied in Partei oder Jugendverband eingebunden werden.

Wir sind die Partei der sozialen Gerechtigkeit. 100 Prozent unserer Wähler*innen in Brandenburg attestieren uns, dass wir uns am stärksten um den sozialen Ausgleich bemühen, unter allen Brandenburger Wähler*innen immerhin 58 Prozent. Zudem gestehen uns 24 Prozent der Wähler*innen hier auch Kompetenz zu. Daran können wir anknüpfen und unser Bild in der Öffentlichkeit stärken. Dass 70 Prozent der Wähler*innen mit uns kein konkretes Projekt in der Landesregierung verbinden konnten, heißt einerseits, dass bis zu 30 Prozent dies durchaus können. Andererseits, dass wir die Chance haben, bis zu 70 Prozent mit einem klaren Profil noch ansprechen zu können. In ähnliche Richtung kann es deuten, wenn 64 Prozent sagen, dass uns neue politische Ideen fehlen. Unsere Ideen und Konzepte sind häufig nicht präsent, daher kann eine Konzentration auf eine überschaubare Anzahl an zentralen Bereichen, Beharrlichkeit, Konfliktbereitschaft und kampagnenhafte Bearbeitung hier wirken. Dass dies erfolgreich sein kann, zeigt auch, dass soziale Sicherheit, Löhne/Renten und Arbeit wahlentscheidende Themen waren – die soziale Frage bleibt für eine relevante Anzahl Wähler*innen zentral. Gerade wegen der geschrumpften Ressourcen u. a. in der Landtagsfraktion müssen wir uns konzentrieren. Dazu zehn landespolitische Vorschläge:

  • Partei der #Arbeit, die zum Leben passt – für und mit wem: Beschäftigte mit unteren und mittleren Einkommen, insbesondere im Niedriglohnsektor und/oder in atypischen Beschäftigungsverhältnissen; gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte; Gewerkschaften; Frauenorganisationen
  • #Mieter*innen(partei) – für und mit wem: die über 600.000 Mieterhaushalte in Brandenburg, insbesondere die mit geringen und mittleren Einkommen – Miete mehr als 30 Prozent des Haushaltseinkommens, ca. 40 Prozent der Haushalte; Mieterverbände; Sozialverbände; Gewerkschaften
  • Partei der #Bildungsgerechtigkeit – für und mit wem: Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen, für die die Bildungsausgaben eine Belastung darstellen; GEW; Elterninitiativen; Sozialverbände
  • Partei der #sozialen Mobilitätswende – für und mit wem: Pendler*innen, insbesondere mit geringen Einkommen; ökologisch Bewegte; Ältere etc., die kein Auto haben; Verkehrsverbände; Gewerkschaften
  • Partei der #Würde im Alter – für und mit wem: Senior*innen, insbesondere mit niedrigem Einkommen; Menschen in prekärer Beschäftigung bzw. Arbeitslosigkeit, denen im jetzigen System Altersarmut droht; Sozialverbände; Seniorenverbände
  • Partei der #sozialen Klimapolitik – für und mit wem: alle, die wollen, dass sich keine*r zwischen seinen Job und der Zukunft seiner Kinder und Enkel entscheiden muss bzw. die sich eine Klimapolitik der Grünen nicht leisten können; Umweltverbände; Gewerkschaften
  • Partei der #solidarischen Gesundheit und Pflege – für und mit wem: Personal in der Pflege/Gesundheit; Patient*innen und Zupflegende und deren Angehörige, insbesondere mit niedrigen Einkommen; Gewerkschaften; Patientenverbände; Sozialverbände
  • Partei der #Weltoffenheit und Freiheit in Solidarität – für und mit wem: Menschen aktiv in der Geflüchtetensolidarität; Menschen, die sich gegen Überwachung wenden; Fußballfans; Konsument*innen von Hanf u. v. m. und deren Organisationen
  • Partei der #Geschlechtergerechtigkeit – für und mit wem: Frauen, insbesondere in systematisch schlechter bezahlten Berufen; Familien, die Kindererziehung und Pflege solidarischer aufteilen wollen; Feminist*innen; LGBTIQ, Frauenverbände, progressive Familienverbände; Sozialverbände; Gewerkschaften; LGBTIQ-Organisationen
  • Partei der #solidarisch-ökologischen Zukunftswirtschaft – für und mit wem: alle, die unsere sozialen Forderungen teilen, uns aber nicht glauben, dass wir die auch erwirtschaften und finanzieren können; Beschäftigte in von der Digitalisierung und/oder Klimapolitik betroffenen Berufen; Akteure der solidarischen Ökonomie; Gewerkschaften

Zu all diesen Profilbildern haben wir konkrete Forderung und Projekte in unserem Wahlprogramm für die Landtagswahl verankert. Ob diese Forderungen und Projekte reichen, werden wir beständig diskutieren müssen. Ob es nun diese oder andere Profilbilder werden, auf die wir uns im Land konzentrieren wollen – klar ist, um dies gut zu tun, brauchen wir attraktive Strukturen in und um die Partei, wo Leute andocken, sich willkommen fühlen, sich bilden und mitmachen können, Unterstützung und Solidarität erfahren und wir gemeinsam Gesellschaft verändern können. Die Zusammenarbeit mit unseren kommunalpolitisch aktiven Genoss*innen in vielen der vorgeschlagenen und anderen denkbaren Profilbildern ist möglich und unerlässlich für Erfolge. Fraktion, Stiftung und Kommunalpolitisches Forum sind ebenso dabei unerlässliche Partner, die ihren Teil und ihre Ressourcen beitragen müssen. Lasst uns diskutieren, welche Strukturen wir dafür brauchen und wie wir die Ressourcen, die wir haben, darauf ausrichten. Wir brauchen die Einheit aus inhaltlicher Profilschärfung und strukturellem Aufbau. Dazu müssen wir auch ehrlich die Frage beantworten, wie dies in Regierung oder Opposition machbar ist. Wir können wieder mehr werden und gemeinsam verändern. Packen wir es an!?

Martin Günther, Mitglied des Landesvorstands