Norbert Müller, Isabelle Vandre
Norbert Müller, Isabelle Vandre

Kinder- und Jugendpolitik in der Corona-Krise muss viel mehr als Kinderschutz sein

Ein Positionspapier LINKER Kinder- und Jugendpolitiker*innen

Kinder, Jugendliche und ihre Familien zählen zu den Hauptleidtragenden der Corona-Krise. Ihr Alltag wurde komplett auf den Kopf gestellt. Keine Kitas, geschlossene Schulen und Spielplätze sind die sichtbarsten Auswirkungen. Doch dahinter steckt mehr: Jugendfreizeiteinrichtungen sind ebenso geschlossen wie Sportvereine, Bibliotheken, Musikschulen und Stadtteilzentren. Der gesamte öffentliche Raum bleibt Familien mit Ausnahme von Spaziergängen versperrt. Die wichtigen und Stabilität gebenden Kontakte zu Freunden und Großeltern sind untersagt. Die Kinder Alleinerziehender sind hier besonders hart getroffen.

Stattdessen müssen die Kinder betreut und unterhalten werden, und das obwohl viele Eltern weiterarbeiten müssen und nur ein kleiner Teil von Zuhause aus arbeiten kann. Betrachtet man nun noch die wirtschaftliche Lage verbunden mit massiven Unsicherheiten durch Kurzarbeitergeld oder drohender Arbeitslosigkeit oder aber die Situation von bereits vor der Krise armen Familien wird deutlich: Die Hauptlast der Krise wird im privaten Rahmen ausgetragen, vor allem von den einkommensschwächeren und ohnehin bereits benachteiligten Familien. Die Risiken der Krise werden damit privatisiert. Das ist umso mehr der Fall, wenn ein Familienmitglied erkrankt und in der Folge die ganze Familie in Quarantäne verharren muss. Es deutet sich bereits jetzt an, dass die Krise die soziale Spaltung hierzulande weiter verschärfen wird.

Als LINKE lehnen wir die Privatisierung der Lasten der Corona-Krise ab. Die Gesellschaft muss gerade in der Krise Kinder, Jugendliche und Familien besonders fördern. Stattdessen beobachten wir die schnelle Installation von milliardenschweren Rettungsschirmen für die Wirtschaft – arme Familien gehen hingegen leer aus, während ihnen gleichzeitig noch die soziale Infrastruktur wie Kitas, Schulen etc. vorenthalten wird.

Die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in der Krise werden komplett ausgeblendet. Es wird zu Recht über Kinderschutz und die Gefahr zunehmender häuslicher Gewalt diskutiert. Das ist aber deutlich zu wenig! Es muss auch in der Krise verlässliche und präventiv wirkende Angebote geben. Möglichkeiten dazu gäbe es. Während in den vergangenen Tagen darüber debattiert wird, wie die Wirtschaft wieder hochgefahren und wie Schulen und Kitas wieder geöffnet werden können, wird übersehen, dass zusätzlich mit vielen kleinen Schritten der Alltag für Familien massiv erleichtert werden könnte. Warum war bzw. ist es bspw. nicht in allen Bundesländern möglich, Bibliotheken ebenso wie Supermärkte unter Schutzbestimmungen zu öffnen? Warum ist es nicht möglich, entsprechende Regelungen für Spielplätze und andere öffentliche Anlagen zu erlassen? Warum wird nicht darüber diskutiert, Kontaktsperren für Familien und insbesondere Alleinerziehenden-Familien so zu gestalten, dass sich jeweils zwei Familien zusammenschließen können, um den Alltag in der Krise zusammen zu gestalten? Das gleiche gilt für Jugendliche, denn Jugend braucht Jugend, um die Krise zu verarbeiten. Welche Schutzmaßnahmen wären dabei zu treffen und welche Mittel bzw. Hygienevorkehrungen notwendig?

Es ist also höchste Zeit laut darüber nachzudenken, wie sich unter Bedingungen einer Pandemie Kontaktsperren altersgerecht gestalten lassen. Es müssen Antworten gefunden werden, wie eine öffentliche Infrastruktur diese lebenswichtigen Kontakte unter Schutzbedingungen fördern kann. Die Bundesregierung und die Landesregierungen sind hier in der Pflicht, sie haben eine Verantwortung dafür, die Interessen von jungen Menschen in der Krise ernst zu nehmen. Es geht um weitaus mehr als eine Wiedereröffnung der Schulen und Kitas.

Die Bundesregierung ist aber auch in der Pflicht, die soziale Spaltung in der Krise nicht weiter anwachsen zulassen. Sie muss armen und von Armut bzw. Arbeitslosigkeit bedrohten Familien mehr Unterstützung zukommen zu lassen. Bürokratische Hürden, Sanktionen und andere demütigende Verfahrensweisen gehören endlich abgeschafft. Wer auf Unterstützung angewiesen ist, muss diese leicht zugänglich erhalten.

Die Einrichtungen, Angebote und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe sind ebenso wie Wirtschaft, Handel und Industrie systemrelevant. Um schon vorher vorhandene soziale Problemlagen, die sich nun durch die Corona-Krise insbesondere in benachteiligten Familien zu verschärfen drohen, müssen staatliche Rettungsschirme und Unterstützungsmaßnahmen passgenau, bedarfsgerecht und unbürokratisch in der Kinder- und Jugendhilfe ankommen.

1. Schutz vor Armut

Besonders arme und armutsbedrohte Menschen sind in der Krise existenziell betroffen. Menschen im Niedriglohnbereich und atypischen Beschäftigungsverhältnissen (Werkverträge, Minijobs, Schein- und Soloselbständigkeit etc.) sind mit Jobverlusten und Einkommenseinbußen konfrontiert, die sie selbst nicht abfedern können. Das trifft besonders Frauen, die in diesen Berufen tätig sind. Ihnen bleibt nur der Weg, ALG II zu beantragen.

Arme Familien leben meist in kleinen Wohnungen und haben wenig Möglichkeiten, sich mit ihren Kindern im öffentlichen Raum zu beschäftigen. 14 Prozent der armen Kindern verfügen über kein Kinderzimmer (allein oder mit Geschwistern; World Vision Kinderstudie 2018). Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, die Teil des kindlichen Existenzminimums sind, stehen überwiegend nicht zur Verfügung. Das Mittagessen, das während der Schul- und Kitaschließungen nicht in den Einrichtungen gegessen werden kann, muss aus dem Hartz-IV-Regelsatz beglichen werden, obgleich es da gar nicht vorgesehen ist. Obwohl arme Kinder ohnehin schlechter ernährt sind, haben Eltern nun zusätzliche Probleme ihre Kinder zu versorgen. Zugleich sind die Preise für Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs in der Krise gestiegen. Deswegen fordert z. B. auch das Deutsche Kinderhilfswerk einen Krisen-Aufschlag auf die Grundsicherung für Kinder.

Auch Teilhabeleistungen wie ein Sporttraining oder das Erlernen eines Instruments können nicht angeboten werden.

Bei Alleinerziehenden verschärft sich die Gesamtsituation. 41,5 Prozent der Alleinerziehenden waren vor der Krise bereits von Armut bedroht (Armutsstudie des Paritätischen Gesamtverbandes, 2018); 20 Prozent aller Alleinerziehenden leben mit ihren Kindern in überbelegten Wohnungen (Statistisches Bundesamt, 2018). Wegfallende Unterstützungsleistungen, keine Kinderbetreuung, Einkommens- oder Jobverluste und beengter Wohnraum stellen besonders Alleinerziehende mit ihren Kindern vor für sie allein unlösbare Herausforderungen. Gerade weil Unterhaltszahlungen sich verringern könnten oder auszufallen drohen, braucht es einen Ausbau des Unterhaltsvorschusses.

Daher fordern wir:

  • Einen Krisenzuschlag in Höhe von 200 Euro pro Monat pro Person rückwirkend ab März auf die Grundsicherung sowie den Verzicht auf Sanktionen und Vermögensprüfungen.
  • Die Einführungen eines Krisen-Elterngeldes, um Einkommensverluste durch notwendige Kinderbetreuung zu reduzieren.
  • Die Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket müssen als Teil der Existenzsicherung den betroffenen Familien zugutekommen.
  • Die Bezugshöhe des Kurzarbeitergeldes für alle Beschäftigten muss auf mindestens 90 Prozent ihres Nettoentgelts erhöht werden.
  • Der Unterhaltsvorschuss muss unbürokratisch und zügig bewilligt werden, das Kindergeld darf nur zur Hälfte auf den Unterhaltsvorschuss angerechnet werden.
  • Teilhabeleistungen und kulturelle Bildung müssen trotz Corona gewährt bleiben (kostenlose Online-Angebote öffentlicher Bibliotheken, wo möglich Sportvereinen das Training ermöglichen, Unterstützung bei Musikschulangeboten durch kostenlose Instrumentausleihe etc.).
  • Langfristig eine Kindergrundsicherung einzuführen, um Kinderarmut zu verhindern.

2. Kinderbetreuung

Die Kindertagesstätten und Tagespflegen wurden seit Beginn der Corona-Krise geschlossen. In den meisten Bundesländern werden nur die Kinder, deren Eltern in systemrelevanten Berufen tätig sind, weiterhin betreut (Notfallbetreuung). Das sind derzeit je nach Bundesland circa 3–10 Prozent der Kinder, die üblicherweise die Kindertageseinrichtungen besuchen.

Die Notfallbetreuung sollte sich nicht allein auf die Kinder fokussieren, deren Eltern in systemrelevanten Berufen tätig sind. Die Notfallbetreuung sollte daneben den Familien zuteilwerden, die mit der Bewältigung von Problemen besonders belastet sind, wie zum Beispiel die Kinder von Alleinerziehenden. Dies dient dem Wohl der Kinder, da ihnen so vertraute Personen/ Strukturen zur Seite stehen, die diese Kinder weiter fördern und besonderes auf die Einhaltung des Kindeswohls achten, als auch der Entlastung der Situation in den Familien.

Für die Notfallbetreuung muss zwingend gelten, dass die vertrauten und existierenden Gruppen weiterbestehen und in möglichst kleinen Gruppen gearbeitet wird. Weitere Lockerungen hinsichtlich der Notfallbetreuung sind notwendig.

In den Bundesländern fallen in unterschiedlicher Art und Weise die Elternbeiträge zur Kindertagesbetreuung an. In den Bundesländern, wo die Eltern sich an den Kosten der Kindertagesbetreuung beteiligen, müssen die Eltern während der Zeit der Schließung der Kindertageseinrichtungen von den Beiträgen befreit werden. Es ist für die Familien unzumutbar, Beiträge für Kitas zu zahlen, die geschlossen bleiben. Dies dient der Entlastung der Familien, die entweder wegen der Kinderbetreuung oder aufgrund von Kurzarbeit zu Hause bleiben müssen und Einkommenseinbußen haben. Die Befreiung von den Elternbeiträgen gilt auch bei der Inanspruchnahme der Notfallbetreuung.

3. Kinder- und Jugendhilfe

Die Kinder- und Jugendhilfe begleitet, wenn sie gut aufgestellt ist, Familien beim „Großwerden“ wie ein Uhrwerk, dessen Zahnräder nahezu geräuschlos ineinandergreifen. In der Corona-Krise ist das Uhrwerk zum Erliegen gekommen, alle gewohnten Angebote sind weggebrochen oder mit den Folgen der Krisenbewältigung beschäftigt. Dabei brauchen Familien und ihre Kinder gerade jetzt verlässliche Angebote und Unterstützung. Wir dürfen den Kinderschutz nicht nur vom Ende betrachten. Gerade jetzt ist es wichtig, am Fachkräftegebot festzuhalten. Nur so ist die gerade dringend benötigte Professionalität und Kontinuität in der Kinder- und Jugendhilfe möglich. Wir müssen die Vielfalt der Angebote im Blick haben, von der Kita bis zur Jugendfreizeiteinrichtungen, von der Familienhilfe bis hin zu den Kinderheimen und Jugendwohngruppen.

Hart trifft es all die Jugendlichen, deren Treffpunkte geschlossen wurden. Aber auch Eltern mit jüngeren Kindern stehen vor den geschlossenen Türen ihres Familienzentrums. Nahezu eingeschlossen hingegen sind die Kinder und Jugendlichen, die in Heimen bzw. Wohngruppen leben müssen, ohne dass diese personell und strukturell der Situation gewachsen sind. Hilfepläne wurden vielerorts von heute auf morgen abgebrochen oder auf unbestimmte Zeit vertagt. Jeder junge Mensch ist von den Einschränkungen betroffen, aber es trifft jeden abhängig von der gesellschaftlichen Herkunft unterschiedlich hart.

Als LINKE fordern wir daher:

  • Die Sichtweise von Kindern und Jugendlichen ist zu berücksichtigen, denn um sie geht es. Kinder und Jugendliche haben das Recht, bei allen Belangen, die sie betreffen, gehört und geachtet zu werden. Das gilt auch in der Corona-Krise.
  • Die Kinderrechte müssen in der Pandemiebekämpfung besser berücksichtigt werden. Denn Kinderrechte beinhalten mehr als Kinderschutz.
  • Kinder brauchen den Austausch unter sich ebenso wie Jugendliche. Hier braucht es im Rahmen der bestehenden Kontaktsperren Lockerungen und Augenmaß. Nichts spricht dagegen, dass junge Menschen sich regelmäßig mit ihrem besten Freund bzw. ihrer besten Freundin treffen.
  • Die Kinder- und Jugendhilfe hat in der Krise eine noch bedeutendere gesellschaftliche Verantwortung und ist in besonderem Maße zu fördern. Ihre Angebote müssen auch nach der Krise ausgeweitet werden. Der Bund muss sich stärker an der Finanzierung dieser wichtigen Infrastruktur beteiligen.
  • Die Jugendämter bilden die Schnittstelle der Kinder- und Jugendhilfe und tragen große, auch organisatorische Verantwortung in der präventiven Arbeit und im Kinderschutz. Daher dürfen die Jugendämter in der Krise nicht geschwächt werden (z. B. durch Fachkräfteabzug für die Pandemiebekämpfung). Sie müssen für die Familien ebenso erreichbar sein wie für die Träger und Fachkräfte.
  • Die präventive Arbeit muss stattfinden und ausgebaut werden – gleiches gilt für Beratungsangebote. Dafür müssen im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes und mit gesundem Augenmaß Wege gefunden werden, die auf der einen Seite Schutz vor Ansteckung bieten und auf der anderen Seite soziales und gesellschaftliches Leben ermöglichen.
  • Digitale Angebote müssen z. B. in der Jugendarbeit oder der Beratung ausgebaut werden, dürfen aber den direkten persönlichen Kontakt nicht ersetzen. Datenschutz und Datensicherheit müssen dabei gewährleistet sein. Auf eine offene, aber auch kritische, Begleitung der neuen digitalen Angebote ist dabei zu achten.
  • Die aufsuchende Arbeit ist ebenso weiterzuführen wie mobile Angebote. Bestehende Kontakte müssen aufrechterhalten werden. Die Kinder- und Jugendhilfe soll verlässlich vor Ort und ansprechbar sein.
  • Freizeitangebote, Verbandsarbeit und Jugendsozialarbeit müssen erreichbar sein. Alternative Angebote sind zu fördern. Das Fachpersonal und die Träger brauchen finanzielle Sicherheit.
  • Elternarbeit und Familienhilfe hat weiter statt zu finden. Bei Bedarf müssen die Frequenzen erhöht werden. Persönliche Treffen z. B. im Freien und unter Schutzvorkehrungen sind nur eine Möglichkeit, den Familien in der schwierigen Situation bei Seite zu stehen. Umgangsregelungen sind durchzusetzen.
  • Straßenkinder dürfen jetzt nicht wegen der Ausgangsbeschränkungen kriminalisiert bzw. mit Strafgeldern belegt werden. Sie brauchen jetzt umso dringender Angebote der Kinder- und Jugendhilfe. Obdachlosen Jugendlichen sind umgehend Angebote zur Unterbringung im Einzelzimmer zu unterbreiten.
  • Stationäre Einrichtungen müssen in der Krise weitaus mehr leisten. Sie sind in der Regel nicht auf eine 24-Stunden-Betreuung ausgelegt und brauchen daher dringend selbst Unterstützung. Denn ihre jungen Bewohner*innen brauchen nun besonderen Beistand und Verlässlichkeit. Gleichzeitig dürfen diese Kinder und Jugendlichen nicht in den Einrichtungen verwahrt werden, der öffentliche Raum muss ihnen zugänglich sein.
  • Einrichtungen, die mit fragwürdigen und (teil-)freiheitsentziehenden Maßnahmen arbeiten, lehnen wir ab. Die bestehenden Einrichtungen müssen jetzt besonders intensiv kontrolliert werden, für die Bewohner*innen müssen andere Unterbringungsmöglichkeiten gefunden werden.
  • Kinder und Jugendliche in geschlossenen oder stationären Unterbringungen oder psychiatrischen Einrichtungen dürfen zum Schutz vor Verbreitung des Corona-Virus in den Einrichtungen nicht voneinander isoliert werden.
  • Das fragwürdige Mittel der Jugendarreste muss mindestens während der Corona-Pandemie ausgesetzt werden, um die Gesundheit der Jugendlichen nicht zu gefährden.
  • Kinder- und Jugendhilfe muss auch an den Schnittstellen zu anderen Systemen, wie der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen, den Familiengerichten, den Kinder- und Jugendpsychiatrien oder den Schulen arbeitsfähig sein und bleiben.
  • Careleaver dürfen in dieser Situation nicht vergessen werden, denn sie haben in der Regel keine Familie und gefestigten Sozialstrukturen, auf die sie zurückgreifen können. Sie müssen bei Bedarf Unterstützung finden.
  • Die Hilfen für junge Volljährige müssen großzügig anerkannt werden. Es darf kein junger Mensch nur aufgrund seines 18. Geburtstages von der Jugendhilfe vor die Tür gesetzt werden.
  • Das Fachkräftegebot ist unbedingt einzuhalten. Bei Bedarf kann und soll auf Fachkräfte anderer Einrichtungen zurückgegriffen werden. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen soll als systemrelevant anerkannt werden.

4. Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrungen

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie treffen jene besonders schwer, die keine eigenen vier Wände haben, sondern mit vielen Menschen an einem Ort untergebracht sind. Die Quarantäne von ganzen Gemeinschaftsunterkünften lehnen wir ab. Vielmehr sollten die Kommunen nach Möglichkeiten suchen, Personen, die positiv auf Covid-19 getestet wurden, aus den Unterkünften zu holen. Gemeinschaftsunterkünfte sind keine Unterbringungsformen für einen langen Zeitraum. Bund, Länder und Kommunen müssen sich dafür einsetzen, Geflüchtete dezentral unterzubringen. In der Krise ist es jetzt notwendig, die Betreuung und Unterstützung der Kinder und Jugendlichen in den Gemeinschaftsunterkünften zu intensivieren. Hierfür ist eine Aufstockung der Sozialarbeit in den Unterkünften essentiell.

Die sowieso schon desaströse Situation der Menschen in den Flüchtlingscamps an den Außengrenzen der europäischen Union wird durch die Corona-Pandemie noch einmal verschärft. Der Ausbruch der Krankheit kann in den überfüllten Camps zum Tod unzähliger Menschen führen. Solidarität in der Krise heißt daher, die Forderung nach Evakuierung der Lager zu unterstützen und auf allen Ebenen die Voraussetzungen zur Aufnahme der Geflüchteten zu schaffen.

Die symbolische Aufnahme von nur wenigen unbegleiteten Minderjährigen aus den Elendscamps von den griechischen ist ein Skandal. Die Bundesregierung ist aufgefordert, umgehend einen großen humanitären Beitrag zu leisten und so vielen jungen Menschen wie möglich eine sichere Perspektive zu eröffnen. Dazu sind ausreichende Kapazitäten hierzulande gegeben – trotz Corona-Krise.

5. Infrastruktur sichern und bedarfsgerecht ausbauen

Kinder, Jugendliche und Familien sind gerade in diesen Tagen auf eine gut funktionierende und flexible Unterstützerstruktur vor Ort angewiesen. Im Gegensatz dazu stehen Einschränkungen oder sogar die Schließung von Einrichtungen und Angeboten in allen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe. Betroffen sind die offene Kinder- und Jugendarbeit ebenso wie die Jugendsozialarbeit, die Erziehungs- und Familienberatung, Angebote der Hilfen zur Erziehung bis hin zur mobilen und aufsuchenden Arbeit mit Straßenkindern. In vielen Bereichen wurden kreative, flexible Konzepte entwickelt, um gerade jetzt Kontakte aufrecht zu erhalten, Förderung, Betreuung und Beratung zu gewährleisten, präventiv und im Problemfall zu unterstützen. Eine besondere Herausforderung stellt die Sicherung stationärer Angebote und die Gewährleistung des Kinderschutzes dar. Die Träger der Angebote bewegen sich dabei stets in einem Spagat zwischen der Einhaltung der staatlich verfügten Auflagen und Beschränkungen und der Wahrnehmung ihrer Verantwortung für Kinder und Jugendliche. Dies oftmals unter den schwierigen Bedingungen unsicherer Finanzierung und unzureichender Ausstattung. Letzteres betrifft auch die Bereitstellung von Schutzkleidung und -materialien.

Durch die Absage von Klassen- und Bildungsfahrten oder sonstigen Kinder- und Jugendreisen sind viele Jugendherbergen, Kindererholungszentren (KiEZe), Schullandheime und Jugendbildungsstätten in der Existenz bedroht. Bund und Länder müssen die Existenz dieser Einrichtungen absichern, damit auch zukünftig kostengünstige Freizeit- und Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche zur Verfügung stehen. Egal ob Klassenfahrten, Ferienfahrten oder Seminarangebote: insbesondere Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien sind auf die Existenz kostengünstiger Angebote angewiesen.

Wir fordern unter anderem:

  • Anerkennung der Angebote der Kinder- und Jugendhilfe als systemrelevante Infrastruktur.
  • Existenzsichernde Finanzierung der Träger, Projekte und ihrer Angebote u. a. durch tarifgerechte Bezahlung der Beschäftigten einschließlich der Honorarmitarbeiter*innen als Voraussetzung für die Einhaltung des Fachkräftegebots und bedarfsgerechte Ausstattung mit Sachmitteln. Anerkennung der Leistungserbringung auch bei angepasster flexibler Ausgestaltung der Konzepte und Angebote.
  • Anerkennung Corona-bedingter Mehrkosten unter anderem bei erhöhtem Personaleinsatz oder zur Beschaffung von technischen Ausstattungen, um z. B. durch telefonische oder digitale Kommunikation den Kontakt mit Kindern, Jugendlichen und Familien zu halten, im Bedarfsfall erreichbar zu sein und für den Austausch von Informationen sowie zur fachlichen Abstimmung.
  • Sicherstellung des Infektionsschutzes durch kostenlose Bereitstellung von Schutzmaterialien und -ausrüstungen sowie Zugang zu Testmöglichkeiten.
  • Gewährleistung der Handlungsfähigkeit der Jugendämter vor allem im Hinblick auf die fachliche Steuerung, Informationsaustausch und zur ressortübergreifenden Vernetzung insbesondere mit anderen Diensten und Einrichtungen, vor allem im Bereich des Gesundheitsschutzes.
  • Nachjustierung des Sozialschutz-Paketes des Bundes im Hinblick auf die Sicherstellung der Existenz von Bildungsträgern, Familien- und Jugendferienstätten sowie vergleichbaren Kinder- und Jugendangeboten mit Übernachtungsmöglichkeit. Klarstellung, dass die finanzielle Unterstützung nicht berechtigt, Träger bedingungslos für andere Aufgaben zur Bewältigung der Corona-Krise heranzuziehen.
  • Würdigung und Unterstützung ehrenamtlichen Engagements und zivilgesellschaftlicher Initiativen.

Unterzeichner*innen:

Jacqueline Bernhardt
(Stellv. Fraktionsvorsitzende und kinderpolitische Sprecherin, Fraktion DIE LINKE. im Landtag Mecklenburg-Vorpommern)

Sabine Boeddinghaus
(Fraktionsvorsitzende und Fachsprecherin für Familie und Jugend, Fraktion DIE LINKE. in der Hamburgischen Bürgschaft)

Christiane Böhm
(Sprecherin für Familien- und Kinderpolitik, Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag)

Kati Engel
(Kinder- und jugendpolitische Sprecherin, Fraktion DIE LINKE. im Thüringer Landtag)

Anna Gorskih
(Sprecherin für Kinder- und Jugendpolitik, Fraktion DIE LINKE. im Sächsischen Landtag)

Kristin Heiß
(Sprecherin für Jugendpolitik, Fraktion DIE LINKE. im Landtag von Sachsen-Anhalt)

Monika Hohmann
(Sprecherin für Kinder-, Familien- und Bildungspolitik, Fraktion DIE LINKE. im Landtag von Sachsen-Anhalt)

Elisabeth Kula
(Sprecherin für Jugend, Schule und Bildung, Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag)

Dennis Lander
(Jugendpolitischer Sprecher, Fraktion DIE LINKE. im Landtag des Saarlandes)

Norbert Müller
(Kinder- und jugendpolitischer Sprecher, Fraktion DIE LINKE. im Bundestag)

Katrin Seidel
(Stellv. Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Kinder-, Jugend- und Familienpolitik, Fraktion DIE LINKE. im Abgeordnetenhaus von Berlin, Mitglied im Landesvorstand DIE LINKE. Nordrhein-Westfalen)

Marika Tändler-Walenta
(Sprecherin für Kindertagesstätten, Fraktion DIE LINKE. im Sächsischen Landtag)

Insa Tietjen
(Fachsprecherin für Kinder und Kindertagesstätten, Fraktion DIE LINKE. in der Hamburgischen Bürgschaft)

Isabelle Vandre
(Kinder- und jugendpolitische Sprecherin, Fraktion DIE LINKE. im Landtag Brandenburg)