Unterscheidbar links – in Form und Inhalt: Wahlauswertung der Bewegungslinken Brandenburg
Als LINKE haben wir eine schmerzvolle Niederlage erlitten. Diesen Schmerz fühlen all jene, die seit Jahren und Jahrzehnten mit Kopf, Herz und Hand dabei sind, in der LINKEN und für sie Politik machen. Und diesen Schmerz teilen wohl auch jene Hunderte, die sich in den letzten Tagen dazu entschlossen haben, Mitglied zu werden, sich dem Trend entgegen zu stellen und sich zu bekennen für eine starke parlamentarische Linke.
Alle, die diesen Schmerz teilen, sind nun auf der Suche nach Antworten, um zu erklären, woran es liegt und lag, dass uns deutlich weniger Menschen das Vertrauen geschenkt haben als noch vor vier Jahren. Als Bewegungslinke Brandenburg wollen wir uns mit diesem Papier an dem notwendigen Prozess der Aufarbeitung beteiligen, der unserer Ansicht nach auf allen Ebenen geführt werden muss. Unser Fokus liegt dabei auf dem Land Brandenburg und unserer hiesigen Partei. Natürlich ist dieser nicht ausreichend, um eine Bundestagswahl zu analysieren. Doch zum einen wurden die bundesweiten Gründe bereits an anderer Stelle sehr treffend analysiert (www.taz.de/Nach-der-Bundestagswahl/!5802786/; Luxemburg: www.zeitschrift-luxemburg.de/merkel-2-0/; www.bewegungslinke.org/wer-will-dass-die-partei-bleibt-wie-sie-ist-will-nicht-dass-sie-bleibt/), aber vor allem war das Brandenburger Ergebnis herausragend schlecht: Der schwächste Zweitstimmenanteil in Ostdeutschland.
Wir sind die einzige im Bundestag vertretene sozialistische Partei. Leider ist es uns nicht gelungen, dieses Unterscheidungsmerkmal entscheidend zu verankern, weder in den vergangenen Jahren in Bund und Land noch in unserer Wahlkampagne. Dabei liegen unsere Themen förmlich auf der Straße: Wohnen, Mobilität, Gesundheit oder Energie. Besonders bitter: Obwohl unsere Kernthemen Frieden und soziale Gerechtigkeit in den Vorwahlwochen eine größere Rolle gespielt haben als in vergangenen Wahlkämpfen, konnten wir unsere inhaltlich gute Aufstellung nicht in hohe Stimmenanteile umwandeln.
Aus dem Wahlkampf 2021 können wir schlussfolgern, dass wir unseren eigenständigen Ansatz auch stärker in Abgrenzung zu den Grünen deutlich machen müssen: Es reicht eben nicht, den Kapitalismus grün anzumalen, um die Klimakatastrophe noch zu bremsen. Die Klimakatastrophe wird auch in Brandenburg vor allem Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen treffen. Hier müssen wir ansetzen: Soziale Gerechtigkeit wird zukünftig auch immer Klimagerechtigkeit sein. Klimaschutz ist nicht über neue und höhere Steuern und Abgaben gewährleistet: Mobilität und nachhaltiges Konsumverhalten müssen sich alle leisten können. Belastungen der Umwelt dürfen kein Privileg für Besserverdiener:innen werden – sie müssen unterbunden werden, angefangen bei den Mächtigen, nicht bei den Schwächsten!
Unsere Partei muss ein Gespür für die Themen unserer Zeit und unserer Mitmenschen entwickeln. Dazu hat sich der Haustürwahlkampf als geeignetes Instrument erwiesen, das auch außerhalb von Wahlen eingesetzt werden sollte. In den vergangenen Monaten und Jahren sind wir zu oft daran gescheitert, die wichtigen Themen unserer Zeit einheitlich zu beantworten. Dabei ist unser Wahlprogramm in einem vorbildlichen Prozess erarbeitet und mit überwältigender Mehrheit angenommen worden. Es ist somit die beste Grundlage, um diese nötige Einheit in den nächsten Jahren zu gewinnen. Wir alle entdecken wahrscheinlich die eine oder andere Stelle im Programm, die uns nicht in den Kram gepasst. Doch darum darf es frühestens bei der nächsten Programmdebatte gehen. Bis dahin versammeln wir uns hinter einem Programm unserer Partei.
Partei in Bewegung
Die überwältigende Kampagne von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ zeigt, dass es möglich ist, im Zusammenspiel von parlamentarischer und außerparlamentarischer Arbeit politische Erfolge zu erzielen. Unsere Aufgabe muss es sein, Mittlerin zwischen beiden Ebenen zu sein. Das gilt in Regierung und Opposition. Auch in Brandenburg stehen wir an der Seite von progressiven Initiativen wie z. B. dem Volksbegehren Verkehrswende. Eine Unterstützung der Volksinitiative Verkehrswende, die auf dem Landesparteitag beschlossen wurde, fand jedoch nicht kraftvoll statt. Hier wurde die Chance verpasst in dem wichtigen Zukunftsthema Klimagerechtigkeit Profil zu gewinnen. Gleichwohl hat der Endspurt der Hohenzollern-Kampagne gezeigt, dass mit einer entsprechenden Task-Force Ziele erreicht werden können. Dies hätte sinnvollerweise auch auf beschlossene Themenschwerpunkte Anwendung finden sollen.
Es gilt, unser Programm der sozialen Gerechtigkeit und der Klimagerechtigkeit konsequent für den Alltag jedes und jeder begreiflich zu machen und diese sowohl in die parlamentarische Arbeit zu übersetzen, aber auch gleichzeitig außerparlamentarisch in Projekten, Initiativen und Bewegungen vor Ort zu diskutieren.
So wie wir auf Bundesebene Federn gelassen haben angesichts einer medialen Polarisierung auf Scholz, Baerbock und Laschet, hatten wir auch im Land Brandenburg mit einem Aufmerksamskeitsdefizit zu kämpfen. Das Kalkül, Anke und Christian als ebenbürtige Spitzenkandidat:innen zu inszenieren, ist nicht aufgegangen. Als linke Partei sollten wir nicht den Fehler begehen, auf eine Berichterstattung durch die bürgerlichen Medien zu vertrauen. Dem entgegen hat sich die mediale Kommunikation der Landesgeschäftsstelle in den letzten Wochen vor der Wahl darauf beschränkt, Pressemitteilungen herauszugeben. Eine orchestrierte Online-Kampagne hat zumindest landesseitig quasi nicht stattgefunden. So konnten wir nicht ansatzweise die Wahrnehmungsschwelle durchbrechen.
Der Anteil der Wechselwähler:innen insgesamt war so hoch wie nie zuvor. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Trend die nächsten Wahlen über fortsetzen wird. Das wirkt sich auch auf die Wochen vor der Wahl aus, dieses Mal leider zu unseren Ungunsten. Umso wichtiger ist es, dass wir kampagnenfähig(er) werden. Zeit zu üben haben wir bis zur Landtagswahl allemal.
Bis zur Landtagswahl sollten alle Kreisverbände eine größere technisch-organisatorische Selbstständigkeit erlangen, vermittelt durch die Landesgeschäftsstelle. Wir haben Hoffnung, dass die dadurch frei werdenden Ressourcen mehr Verwendung im Koordinieren und Leiten der dann landesweit rollenden Kampagnen fließen können. So fehlten in diesem Wahlkampf Anregungen von zentraler Stelle, welche Formen und Themen im Wahlkampf derzeit gut ankommen. Dabei konnten an einigen Orten gute Erfahrungen gemacht werden: dass Haustürwahlkampf anstrengend ist, aber funktioniert, dass es nicht immer ein Infostand, sondern auch mal ein Lastenrad sein kann, mit dem wir in Erscheinung treten.
Mit einer Fokussierung auf kampagnenförmige Arbeit ändert sich auch unsere parteipolitische Praxis: Aktionen und das Zuspitzen von konkreten Themen sollten nicht mehr zusätzlich zu der Parteiarbeit stattfinden, sondern elementarer Bestandteil davon werden. Dadurch werden wir in Konflikten als handelnde Akteure vor Ort sichtbar und verlassen unsere Rolle als Kommentator:innen am Spielfeldrand. Gleichzeitig wird es dadurch anderen Menschen leichter fallen, sich unserer Partei als Unterstützer:in oder als Mitglied anzuschließen: mit uns zusammen Unterschriften zu sammeln, für Frieden zu demonstrieren und bei Aktionen für einen besseren ÖPNV mitzumachen ist wesentlich niedrigschwelliger, als sich der LINKEN über Parteiversammlungen oder Beratungen anzunähern. Den Menschen in den Sozialen Bewegungen wird es auffallen, dass wir wirklich an ihrer Seite stehen und mehr als salbungsvolle Worte für sie übrig haben. Mit unserem politischen und organisatorischen Know-How können wir sie zudem wirkungsvoll unterstützen.
Auf zu einer sozialistischen Mitmachpartei
Eine sozialistische Herangehensweise braucht es nicht nur in unserem Programm, sondern auch in unseren Strukturen. Den Think Tanks, Agenturen und Wahlvereinen stehen wir als Kollektiv gegenüber. Kollektives Handeln bedeutet Entscheidungen möglichst breit zu treffen und zu verantworten. Es bedeutet auch Danke zu sagen für geleistete Arbeit, Rücksicht zu nehmen auf persönliche und strukturelle Hürden, um diese im besten Fall gemeinsam zu überwinden. Unser Wahlkampf und auch unsere tägliche politische Arbeit waren leider nur zum Teil in dieser Art und Weise geprägt. Zu oft sind es Einzelpersonen, die Entscheidungen treffen, mitunter gegen den Rat ihrer Genoss:innen. Exemplarisch hierfür steht die „Würfeltour“, welche unter immensem personellen Aufwand seitens der Landesgeschäftsstelle vor Ort in der Regel nicht mehr Leute erreicht hat als ein gewöhnlicher Infostand.
Dass es anders geht, zeigt der Blick in unsere West-Landesverbände, aber auch eine ganze Reihe von Kreisverbänden und Wahlteams in Brandenburg. So gab es spürbare Erfolge, wenn wir uns die Mitgliederentwicklung in der Hochphase des Wahlkampfes ganschauen. Denn eines ist klar: Wollen wir wachsen, und das müssen wir, wollen wir weiter existieren, dann braucht es eine Kultur der Empathie und Dankbarkeit auf allen Ebenen, von der BO bis zum Landesvorstand. Wie so etwas auch aus zentraler „Regie“ unterstützt werden kann, zeigt bspw. die bundesweite Chatgruppe zum Haustürwahlkampf, in der wohlwollend und an den Bedürfnissen der Wahlkämpfer:innen orientiert kommuniziert wurde.
Entsprechend dürfen wir nicht dabei stehen bleiben, neue Mitglieder zu werben (wobei auch das keine zu unterschätzende Aufgabe ist), sondern müssen die neuen Genoss:innen gemäß ihrer Fähigkeiten und vor allem ihrer Wünsche beteiligen, am Anfang vielleicht mit Unterstützung, aber in jedem Fall mit Vertrauen und Wertschätzung. In den kommenden Wochen stehen wir vor der Herausforderung, die Anstrengungen des Wahlkampfes möglichst schnell abzuschütteln und alsbald wieder öffentlich in Erscheinung zu treten. Um als LINKE sichtbar zu bleiben und den Genoss:innen auch außerhalb von Gremienarbeit die Möglichkeit zu geben, ihrem Wunsch nach Engagement nachzukommen. Nicht jedes Mitglied möchte in der ersten Reihe stehen, kann noch Plakatieren oder hat abends Zeit für lange Sitzungen. Deshalb ist es notwendig vor Ort zu erfassen, wie sich neue oder passive Mitglieder in Zukunft einbringen wollen. Für fast alle wird es Möglichkeiten geben.
Ein Bedarf, der uns von neuen wie alten Mitgliedern gespiegelt wurde, ist die politische Bildung. Sei es linkes Basis-Wissen oder die Kniffe und Tricks beim Haustürwahlkampf. Gerade in Wahlkampfzeiten sind überdies tagespolitische Handreichungen unablässlich. Um eine größere Verbreitung innerhalb der Partei zu gewährleisten, wäre eine Verbreitung über den Landesverbandsverteiler wahrscheinlich effektiver gewesen. Zudem fehlten nach unserer Wahrnehmung Tipps für Argumentationen, die sich an taktische Wähler:innen richten. Auch in der Bereitstellung von Best-Practice-Beispielen gelingender politischer Arbeit besteht nach wie vor Potenzial. Als Bewegungslinke wollen wir diese Aufgaben nicht nur benennen, sondern aktiv an ihrer Umsetzung mitwirken. Kontaktiert uns gern, wenn Ihr Interesse am Mitwirken oder Teilnehmen an Workshops und Ähnlichem habt.
Gerade dem Jugendverband kommt bei der Mitgliederoffensive eine besondere Bedeutung zu. Wir wollen, dass sich in allen Kreisverbänden Ortsgruppen gründen. Gerade junge Mitglieder finden sich schwer in den Strukturen zurecht und damit dauerhaft Anschluss an die Partei. Die Kreisverbände der Partei sind aufgefordert, jungen Genoss*innen Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, ihnen Freiräume, organisatorische und finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Ziel muss es sein, den jungen Genoss:innen den Weg in die Partei zu ebnen, ohne dem Jugendverband und seinen Mitgliedern die Autonomie abzusprechen.
Struktur
Auch wenn das Wahlergebnis gerade noch so gereicht hat, um unseren Fraktionsstatus aufrecht zu erhalten, bringt es spürbare Einschnitte mit sich. So müssen sich fortan zwei statt bisher vier Bundestagsabgeordnete und ihre Mitarbeiter:innen um Repräsentanz in Land und Partei bemühen. Nach den Einschnitten, die bereits das Schrumpfen der Landtagsfraktion mit sich brachte, stehen wir als gesamter Landesverband vor dieser Herausforderung. Bei der Verteilung unserer knappen Ressourcen sind persönliche Befindlichkeiten zurückzustellen. Unsere Partei braucht dort Orte der Begegnung, wo sie über eine handlungsfähige Mitgliedschaft verfügt. Dort können Orte der Begegnung, des Wachstums entstehen. Das Prinzip Gießkanne dient nicht dem bitter nötigen Parteiaufbau, sondern schießt Ressourcen in Gebiete, denen längst jener fruchtbare Boden für Begegnungen fehlt. Wir müssen aus unseren Hochburgen heraus gesunden. Das ist nicht zwingend ein Widerspruch zwischen Stadt und Land. Für aktive Einzelmitglieder ohne Anbindung an die nächste Ortsgruppe müssen wir kreis- und/oder landesweite Beteiligungsmöglichkeiten schaffen. Im Bereich der digitalen Vernetzung haben wir in den vergangenen Monaten bereits große Fortschritte gemacht. Ein Fundament, auf dem wir im Sinne der Einbindung möglichst aller aufbauen können.
Wir hoffen mit diesem Papier, den notwendigen Diskussionsprozess in der Partei zu bereichern und setzen uns gern auch in kontroverser Debatte mit anderen Auffassungen auseinander. Jede Stimme innerhalb der Partei verdient Gehör und niemandem sprechen wir das ehrliche Interesse an Aufarbeitung ab. Gleichzeitig haben wir den festen Wunsch, dass die gesammelten Evaluationen und Analysen auch für die Zukunft handlungsleitend sind und nicht ein ähnliches Schattendasein fristen, wie die erfolgte Evaluation aus dem Landtagswahlkampf 2019.
In der innerparteilichen Zusammenarbeit geht es aber nicht nur darum, zu evaluieren und hoffentlich bald wieder Wahlerfolge einzufahren. Es geht auch darum, sich gegenseitig zu respektieren, auf Augenhöhe zu begegnen und wertschätzend miteinander umzugehen. Wir alle – egal ob ehrenamtlich oder hauptamtlich engagiert – verbringen viel Zeit in und mit dieser Partei. Mit einem hohen Maß an Einsatz und Herzblut. Das ist nicht nur einen Dank wert, sondern macht unsere Partei aus. Wir wollen eine Partei, in der sich alle einbringen können, in der kontrovers und solidarisch diskutiert werden kann, ohne persönliche Angriffe – in der aber auch gemeinsam gelacht wird. Wir brauchen jede:n und wir benötigen ein solidarisches Miteinander, in dem das Verbindende in den Vordergrund und das Trennende in den Hintergrund gerückt wird.
Iris Burdinski, Steffen Lehnert
Ko-Kreis LAG Bewegungslinke Brandenburg