Rote Nelken für Rosa und Karl – Ehrendes Gedenken in Luckau
Am 8. Januar 2022 trafen sich fast 30 Bürger*innen am Luckauer Karl-Liebknecht-Denkmal an der Stadtmauer, um der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs im Jahr 1919 zu erinnern. Traditionell findet die Gedenkveranstaltung im Januar an dem Denkmal statt, das an den KPD-Mitbegründer und einstigen SPD-Reichstagsabgeordneten erinnert, der von 1916 bis 1918 im damaligen Zuchthaus Luckau inhaftiert war.
Holger Menze vom Luckauer Stadtverband der LINKEN begrüßte die Teilnehmer*innen mit einführenden Worten, dann hielt Stefan Wollenberg, Landesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE in Brandenburg, die Rede zum Gedenken. Zum Abschluss legten die Teilnehmer*innen rote Nelken zu Füßen des Karl-Liebknecht-Denkmals nieder.
Der Vorstand des Luckauer Stadtverbands traf sich danach mit weiteren Gästen zu einer Gesprächsrunde im LiLaLu – dem LINKEN Laden in Luckau am Marktplatz.
Die Rede unseres Landesgeschäftsführers Stefan Wollenberg:
Sehr geehrte Luckauerinnen und Luckauer, liebe Genossinnen und Genossen,
alljährlich im Januar gedenken überall in Deutschland der Ermordung von Karl und Rosa. Auch wenn ihr Tod inzwischen 103 Jahre zurückliegt, vereint das Gedenken an die beiden Gründer*innen der Kommunistischen Partei noch heute ein breites Spektrum von Menschen aus ganz unterschiedlichen linken und progressiven Gruppierungen. Das ist ein beredtes Zeugnis dafür, wie sehr Karl und Rosa mit ihren Schriften, ihren Überzeugungen, vor allem aber ihrem aufrechten Handeln die politische Linke in Deutschland geprägt haben und bis heute prägen.
In ihrer Tradition streitet DIE LINKE, streiten auch viele andere Menschen und Gruppierungen für eine fortschrittlichere, für eine sozialere und friedlichere Zukunft unserer Gesellschaft. Für eine Zukunft, in der die Menschen, und nicht der Profit, im Mittelpunkt stehen.
Für die deutsche LINKE war das Jahr 2021 ein schwieriges Jahr. Das Ergebnis der Bundestagswahl bedeutet eine erhebliche Schwächung unserer politischen Position. Nicht wenige unter uns stellen zu Recht die Frage nach der Zukunftsperspektive der LINKEN. Deswegen will ich heute mit einem vielleicht nicht ganz so bekannten Zitat von Rosa Luxemburg einsteigen, das wir uns gerade jetzt in Erinnerung rufen sollten. In einer Rede vom 1. Dezember 1911 setzte sich Rosa mit der Bedeutung von Wahlen für die Sozialdemokratie auseinander. Sie sagte:
Nicht jede Reichstagswahl hat dieselbe Bedeutung wie die andre, und alle haben für uns eine grundsätzlich andre Bedeutung als für alle bürgerlichen Parteien. Für die bürgerlichen Parteien haben die Wahlen nur und ausschließlich die Bedeutung der Jagd nach Mandaten. Für uns stehen die Mandate an allerletzter Stelle. Wir gehen in den Kampf, nicht um möglichst viele Mandate, sondern weil uns der Wahlkampf Gelegenheit bietet, die Massen aufzuklären und ein gewaltiges Stück vorwärtszutreiben auf der Bahn zum Sturz der kapitalistischen Gesellschaft. Die Wahl ist nicht vom eng parlamentarischen Standpunkte, sondern vom Standpunkte der großen internationalen Schicksale und Aufgaben zu betreiben. Wenn der Kampf auch schwer ist, wenn uns auch Arbeit in Hülle und Fülle erwartet, so können wir mit einem Blick auf das Leben, den Boden, auf dem wir stehen, erklären: wir gehen in diesen Kampf mit Freuden, und es ist eine Freude zu leben.
So viel Wertvolles steckt in diesen wenigen Sätzen! Der Kampf um Mandate, um Präsenz in den Parlamenten ist bestenfalls eine Dimension politischen Agierens. Oft genug ist es jedoch die Dimension, auf die wir vor allen anderen fokussieren. Wichtiger und nachhaltiger aber ist es, dafür zu streiten, das Bewusstsein der Menschen zu verändern. Eine Wahlniederlage ist eben genau nur das – eine Niederlage bei einer Wahl. Sie bedeutet vielleicht einen Rückschlag, nicht aber das Ende des Kampfes um eine gerechte Gesellschaft. Gerade jetzt ist es wichtig, dass wir uns das klar machen!
Die Ampel-Koalition wird Deutschland verändern, sie wird neue Prioritäten setzen, in einigen Bereichen für Fortschritt sorgen, möglicherweise einen neuen Zeitgeist begründen. Eines aber wird sie ganz sicher nicht ändern – so viel kann man jetzt schon sagen: sie wird nicht für ein sozialeres Land sorgen! Sie stellt weiterhin den Profit des Einzelnen statt Chancengleichheit für alle in den Mittelpunkt. Sie stellt keine Eigentumsverhältnisse in Frage, sie wird keine Anstrengungen unternehmen, die gesellschaftliche Kontrolle über grundlegende Ressourcen zurückzugewinnen und sie unternimmt wenig gegen die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich.
Eindringlich führt uns eine Pandemie seit beinahe zwei Jahren täglich das eklatante Versagen eines Systems vor Augen, das Eigenverantwortung vor gesamtgesellschaftliche Solidarität stellt. Tausende haben in den letzten Monaten erfahren müssen, wie nah jeder von uns am Abgrund lebt in einer Gesellschaft, die den Wert eines Menschen zuerst an seiner wirtschaftlichen Produktivität misst. Das traf gleichermaßen Selbstständige und Beschäftigte, die ohne soziale Absicherung Wochen und Monate nicht arbeiten konnten, wie jene, die mit ihrer Arbeit an vorderster Front, egal ob auf der Intensivstation oder im Pflegeheim, in den Kitas und Schulen und an den Supermarktkassen dafür sorgen, dass diese Gesellschaft weiter funktionieren kann – und die statt echter Anerkennung bisher vor allem Klatschen und symbolische Gesten erfahren haben.
Die dringend notwendigen Schlussfolgerungen liegen in vielen Bereichen klar auf der Hand: „Systemrelevanz“ muss endlich mehr als eine Worthülse werden. Der gesellschaftliche Wert sozialer Arbeit, egal ob in Pflege, Erziehung oder Bildung, muss endlich anerkannt werden. Und diese Anerkennung muss sich ausdrücken in einer substanziellen Verbesserung von Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Die Bereiche und Ressourcen, die für die Daseinsvorsorge elementar sind: das Gesundheitssystem, die Pflege, Wohnen, Energie- und Wasserversorgung, Bildung und Erziehung, Telekommunikation müssen dem Markt entzogen werden und gehören unter öffentliche Kontrolle. Nur so können wir gleiche Lebenschancen für alle Menschen und gesellschaftliche Handlungsfähigkeit auch in Krisen wie der aktuellen sichern. Solange es aber möglich ist, dass Krankenhauskonzerne inmitten eine Pandemie Stationen schließen und Pflegepersonal entlassen, um den eigenen Profit zu erhöhen, so lange läuft etwas gewaltig schief in dieser Gesellschaft. Gemeinsam mit den Brandenburger Asklepios-Beschäftigten haben wir im vergangenen Jahr über Monate für gerechte Bezahlung und eine Angleichung ihrer Löhne an den TVöD gestritten – letztlich erfolgreich.
Das ist Aufgabe der LINKEN.
Solange ein bundesweit tätiger Pflegekonzern ungestraft versuchen kann, mitten im Corona-Winter über 100 Senior*innen einer Senioren-Wohnanlage auf die Straße zu setzen, wie es die Marseille Kliniken gerade in Potsdam tun, mutmaßlich um die Immobilie mit enormem Gewinn anderweitig zu verwerten, solange läuft etwas gewaltig schief in diesem Staat. Gemeinsam mit vielen anderen sammeln wir Unterschriften, haben Beratung für die Bewohner*innen organisiert und streiten für eine Enteignung des Konzerns. Am 23. Dezember haben wir gemeinsam mit Hamburger Genoss*innen vor der Firmenzentrale in Hamburg demonstriert.
Das ist Aufgabe der LINKEN!
DIE LINKE muss Anwalt dieser Themen sein, Anwalt der Menschen, die nicht in eine allumfassende Verwertungslogik passen, die vom Mainstream an den Rand gedrängt oder ganz ignoriert werden. Parlamentsmandate können dabei helfen – aber sie sind längst nicht das einzige und auch nicht immer das wirksamste Mittel im politischen Kampf.
Aber unsere Aufgabe ist ungleich größer – auch das zeigen uns die aktuellen Entwicklungen mehr als deutlich.
Wir erleben gesellschaftliche Spaltung in einer Dimension und Radikalisierung, vor der wir ehrlicherweise mit einer gewissen Ratlosigkeit stehen: ob ihrer Irrationalität, ob ihrer Heftigkeit und des eklatanten Mangels an Menschlichkeit und Empathie, der in den Demonstrationen und Corona-Protesten vielerorts zum Ausdruck kommt. Ja – vielerorts werden diese Proteste von Rechtsextremen gesteuert, unterwandert und instrumentalisiert. Dennoch sind nicht alle, die bei den „Spaziergängen“ unterwegs sind, Rechte. Aber den allermeisten dürfte wohl bewusst sein, mit wem sie da durch die Straßen laufen. Und offenbar ist es ihnen egal.
Aus meiner Sicht kommt darin auch etwas zum Ausdruck, das als Ergebnis jahrzehntelang erlernter und erlebter Ellbogen-Gesellschaft ist. Die Erfahrung, sich nur auf sich selbst verlassen zu können, die vermittelte Philosophie des „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“ führt zu einer Radikalisierung des Egoismus, einer Fokussierung auf die eigenen Interessen, die gesellschaftlichen Ausgleich und ein Miteinander weitgehend ausblendet. Das ist die eigentliche Gefahr und das, was mir größte Sorgen bereitet. Denn wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, wird sie nach der Pandemie andere Themem und Ausdrucksformen finden, unsere Gesellschaft aber weiter zersplittern lassen.
Dem müssen wir als LINKE entschieden und mit aller Kraft entgegentreten. Und hier komme ich noch einmal auf mein Eingangszitat von Rosa Luxemburg zurück: Denn worauf basieren die aktuellen Entwicklungen vor allem und worauf setzen jene, die sie steuern? – Auf Angst – vermeintliche und tatsächliche. Angst vor Impfungen, vor Diktatur, Freiheitsverlust, Überwachung. Leider ist es im Umgang damit nicht sehr entscheidend, ob diese Ängste real oder eingebildet sind – sie sind eine starke Emotion. Ähnlich hat es auch 2015/16 funktioniert, als es um die Geflüchteten ging. Mit nüchternen Argumenten ist starken Emotionen nur schwer beizukommen.
Wie sagte Rosa?
Wir gehen in diesen Kampf mit Freuden, und es ist eine Freude zu leben.
Unsere Aufgabe als LINKE ist es, statt apokalyptischer Szenarien die Vision einer Gesellschaft zu entwickeln, die allen Menschen Perspektiven, Chancen und Hoffnung bietet – eine positive Vision, die wir der Angst als ebenso starke Emotion entgegensetzen können. Eine Vision, für die es sich zu kämpfen lohnt. Diese Vision zu entwickeln, Verbündete zu suchen, dafür gemeinsam zu kämpfen mit gesellschaftlichen Bewegungen und Bündnissen wie Umfairteilen oder Fridays for Future, mit Gewerkschaften und Sozialverbänden und allen anderen, die für eine Gesellschaft eintreten, die den Mensch in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt – das ist eine echte Zukunftsperspektive für DIE LINKE.
Diesen Kampf zu führen ist der beste Weg, das Andenken von Karl und Rosa zu ehren und in ihrem Sinne zu handeln!
Herzlichen Dank!