BGE und Bildung – den Kopf dafür haben
Schon vor der kompletten Überforderung und Überlastung durch die Pandemielage war es kein Geheimnis, dass unser Bildungssystem sich in einer Dauerkrise befindet. Sie steht, seit tatsächlich mehr als einem Jahrhundert, wie ein Elefant im politischen Raum und wird gerne übersehen, während man mal wieder versucht, über den Rücken zu klettern oder unter dem Bauch hindurch zu schlüpfen.
Die Chancen auf eine weiterführende Ausbildung, die einen Weg in fast alle der höheren Gehaltsklassen oder auch erstrebten Berufungen ermöglicht, hängen in den allermeisten Fällen nicht nur davon ab, ob diese Lehrangebote konkretes Geld kosten, sondern auch davon, wieviel „Geld“ in Form von Zeit für Ausbildung und Weiterbildung zur Verfügung steht, wenn parallel von etwas gelebt werden möchte. Unsere, traditionell auf soziale Selektion ausgelegten, bildungspolitischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ermöglichen es einem großen Teil der Bevölkerung schlicht nicht, sich aus einem Umfeld der abfällig so genannten „Bildungsferne“ heraus, nach eigenem Wunsch neue Welten und Denkweisen zu erschließen. Der grundlegende Unterschied zwischen den, so endlos reproduzierten, Schichten ist selbstverständlich keinesfalls in individuellen biologischen Vorgaben zu suchen, sondern bildet sich in erster Linie in einem prozesshaft wandelbaren emotionalen Verhältnis gegenüber dem Thema Bildung in all seinen Formen ab. Die positiven und negativen Erfahrungen mit dem Lernen, innerhalb des Zeitraums, den unsere Schulpflicht abbildet, entscheiden so in hohem Maße über die Weiterführung eigenständiger Studien, über das Lernen als aktive und freiwillige Handlung. Und dieser Zeitraum ist sehr knapp bemessen. Nicht ohne Grund ist es so, dass der zweite Bildungsweg millionenfach gegangen wird, dass Lehrende auf allen Gebieten stetig auf neustem Stand bleiben müssen, denn schon lange ist sich die pädagogische Wissenschaft darüber im Klaren, dass das Lernen des Individuums keineswegs als ein zeitlich begrenzbares Phänomen der Kindheit und Jugend verstanden werden kann. Der Prozess beginnt mit der Entstehung des Gehirns und endet mit dem Verlöschen der elektrischen Impulse. Inwiefern wir jedoch früher oder später dazu in der Lage sind, diesen Prozess zu steuern, zu reflektieren und unseren individuellen Erfolg zu bewerten, bestimmt ganz selbstverständlich und doch nicht zufällig unsere soziale Ausgangslage.
Was hat dies nun alles mit einem emazipatorischen BGE zu tun?
Ein Recht auf eine materielle Grundversorgung verschafft Menschen die grundlegende Verfügungsgewalt über ihre Zeit und damit auch über ihren Kopf. Wer gerechtere Bildungsförderung generell befürwortet, wer Menschen in ihrem Leben langfristig dazu befähigen möchte, sich eigenständig fortzubilden und sich so zum Beispiel kompetent und effizient in Arbeitsprozesse, oder auch mit aktuellem und historischem Wissen in eine Demokratie einzubringen, der*die muss es auch dem erwachsenden Individuum zunehmend selbst überlassen, zu welchem Zeitpunkt welche Form von Ausbildung und Weiterbildung einen Sinn innerhalb einer pluralistischen uund digitalisierten Gesellschaft ergibt.
Ein eBGE ist in Hinsicht auf die Verwirklichung lebenslangen Lernens jeder zu beantragenden Unterstützung gegenüber deutlich überlegen und das im Wesentlichen aus vier Gründen:
- Es nimmt den Druck der Rechtfertigung von Ausbildungszielen gegenüber einer Bürokratie.
- Es ermöglicht maximale zeitliche Flexibilität bei der Wahrnehmung von Bildungsangeboten.
- Es normalisiert individuelle Bildungslebensläufe, die ohnehin die Norm sind.
- Es ebnet den gravierenden Unterschied zwischen profitorientierter und am Gemeinwohl orientierter Ausbildung.
Dass so mancher Kompetenzerwerb weiterhin zusätzliches Geld kosten kann, verhindert ein BGE natürlich noch nicht, aber es trägt als Fundament dazu bei, die politisch und didaktisch vielerorts angestrebte Chancengleichheit eines demokratisch ausgerichteten Bildungssystems überhaupt in den Bereich des Denkbaren zu rücken. Eine mittelfristige Erstarkung der demokratischen Organisation von Menschen gegenüber wirtschaftlichen Interessen hängt aber eben maßgeblich davon ab, ob die Leute überhaupt den Kopf für sowas haben.